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auch dem Bundesratsbeschluss gegenüber zu völlig freier Ent-
schliessung befugt. Natürlich wird er von derselben nur dann
Gebrauch machen, wenn er nachträglich seine Ansicht geändert
hat. Einen Entwurf, den er von vorn herein nicht annehmen
will, wird er dem Bundesrat gar nicht vorlegen.
Die Entstehung des Vertragsgesetzes ist also an die Zu-
stimmung eines dritten Reichsorganes gebunden, welches anderen
Gesetzen gegenüber nie ein formelles Veto hat. Das ist jedoch
keineswegs ungeheuerlich. Wirken doch die ordentlichen gesetz-
gebenden Faktoren auch hier mit. Es sind nicht ganz verschiedene
Organe in dem einen und in dem anderen Falle zur Gesetz-
gebung berufen. Weit eigentümlicher ist die Landesgesetzgebung
für Elsass-Lothringen geregelt: Liandesgesetze können hier ent-
weder im Wege der Reichsgesetzgebung oder vom Kaiser mit
Zustimmung des Bundesrats und des Landesausschusses erlassen
werden °?,
Vielleicht trägt LABAnps Lehre von der Sanktion der Reichs-
gesetze durch den Bundesrat die Schuld daran, dass man bisher
die staatsrechtliche Kompetenz des Kaisers zur Mitwirkung bei
der Schaffung von Vertragsgesetzen nicht genügend gewürdigt
hat. Wer einmal die Sanktion für ein begrifflich wesentliches
Merkmal des Gesetzes erachtet, wird nicht geneigt sein, die
Kompetenz hierzu verschiedenen Staatsorganen zuzuschreiben. Wie
schon betont wurde, ist aber von dem hier vertretenen Stand-
punkte aus die Sanktion der Vertragsgesetze durch den Bundesrat
nicht anzunehmen. Und dabei befinden wir uns im Einklang mit
Art. 11 Abs. 3 der Reichsverfassung; nach diesem ist der Kaiser
nicht dem Bundesrate untergeordnet, sondern in erster Linie zum
Handeln berufen und nur in gewissen Fällen an die Zustimmung
des Bundesrats gebunden. Dieses Verhältnis muss man geradezu
?9 Reichsgesetz vom 2. Mai 1877, R.-G.-Bl. S. 491. Vgl. GEore MEYER,
Der Anteil der Reichsorgane an der Reichsgesetzgebung, Jena 1889, S. 80 ff.
Lasanp, 8 69 S. 729 ff.