— 172 —
Ill. Der Inhalt des Vertragsgesetzes.
Wie SELIGMANN ausgeführt hat, wird nicht der gesamte,
materielle Inhalt des Vertrages deutsches Vertragsgesetz, sondern
nur derjenige Teil desselben, welcher sich auf völkerrechtliche
Verpflichtungen des Deutschen Reiches bezieht*!. Um sie zu er-
füllen, werden durch Erlass des Vertragsgesetzes entsprechende
staatsrechtliche Normen geschaffen. Art. 1 des Uebereinkommens
zwisehen dem Deutschen Reieh und Oesterreich-Ungarn vom
6. Dezember 1891 bestimmt: „Die Angehörigen des einen der
vertragschliessenden Teile sollen in den Gebieten des anderen
in Bezug auf den Schutz von Erfindungen, von Mustern (ein-
schliesslich der Gebrauchsmuster) und Modellen, von Handels-
und Fabrikmarken, von Firmen und Namen dieselben Rechte
wie die eigenen Angehörigen geniessen“, Dieser Artikel ent-
hält zwei verschiedene Bestimmungen: erstens stehen den Oester-
reichern und Ungarn im Deutschen Reiche die Rechte der deut-
schen Reichsangehörigen zu. Diese Bestimmung ist deutsches
Vertragsgesetz geworden; dasselbe räumt den Oesterreichern und
Ungarn nach deutschem Staatsrecht einen Anspruch gegen das
Deutsche Reich ein. Zweitens sollen aber nach jenem Artikel
die deutschen Reichsangehörigen in Oesterreich und Ungarn der-
selben Rechte teilhaftig werden, wie die Unterthanen dieser
Staaten. Die letztere Bestimmung ist österreichisches, bezw. un-
garisches Gesetz geworden, aber nicht deutsches. Das konnte
sie nicht werden, denn das Deutsche Reich ist nicht in der Lage,
zu verordnen, was österreichisches, bezw. ungarisches Gesetz sein
soll. Ein derartiger Gesetzesbefehl wäre für niemand verbindlich;
aus ihm könnte niemand Rechte herleiten. Er wäre für Oester-
reich-Ungarn und die Behörden dieser Staaten nicht verbindlich,
weil Gesetze des Deutschen Reiches für sie im Inneren überhaupt
#1 SELIGMANN, Abschluss und Wirksamkeit der Staatsverträge, Frei-
burg i. B. 1890, 8. 210—216.
2 R.-G.-Bl. 1892 8. 289.