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sein; die Ersetzung des Vertragsgesetzes durch ein anderes, den
Vertragsbestimmungen materiell genügendes Reichsgesetz ist nach
Lage der Sache vollkommen ausgeschlossen; die Majorität im
Bundesrate und Reichstage will die einschlägigen Rechtsverhält-
nisse gerade in der dem Vertrage entgegengesetzten Weise regeln.
Der Kaiser müsste das neue Gesetz ausfertigen und verkünden;
es stände ihm kein Veto zu!
Man wende nicht ein, der angenommene Fall sei gänzlich
unwahrscheinlich; der Bundesrat wenigstens werde seiner Ver-
antwortlichkeit sich stets so bewusst sein, dass er keinen Beschluss
fasse, welcher mit den völkerrechtlichen Pflichten des Deutschen
Reiches im Widerspruch stehe. Der Meinung sind wir auch; aber
mit solchem Einwande stellt man nicht das Verfassungsrecht klar,
sondern geht seiner Erforschung aus dem Wege. (Gerade jener
Fall muss hier in Betracht gezogen werden. Ist übrigens ein
Rechtsirrtum hinsichtlich der fortdauernden Wirksamkeit eines
Vertrages bei der Mehrheit des Bundesrats gänzlich ausgeschlossen ?
(tewiss kann auch der Kaiser einem solchen Irrtume verfallen;
dann muss das Reich die Folgen tragen, weil dasjenige Organ
irrt, welchem es seine völkerrechtliche Vertretung übertragen hat.
Dieser Fall tritt aber ebenso leicht bei Verträgen ein, welche der
Zustimmung des Bundesrats und des Reichstages gar nicht be-
dürfen.
Vermöchte ein gewöhnliches Reichsgesetz das Vertragsgesetz
aufzuheben, so wäre der Kaiser wohl zur Kündigung des Ver-
trages verpflichtet, vorausgesetzt, dass dieser gerade kündbar ist?
Hat der Kaiser alsdann mit der Ausfertigung und Verkündigung
des Gesetzes ein Jahr lang zu warten, falls der Vertrag erst ein
Jahr nach der Kündigung ausser Wirksamkeit tritt? Man könnte
annehmen, das Reich wolle in diesem Falle nicht vertragsbrüchig
werden, sondern zunächst nur die Kündigung des Vertrages und
mit dem späteren Erlöschen desselben auch das des Vertrags-
gesetzes herbeiführen. Die Zulässigkeit dieser Interpretation