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der Reichsverfassung in dem engeren Sinne der armenrechtlichen
Zugehörigkeit auffasst, ist der Kreis der Rechtsverhältnisse, die
man unter diesem Gesichtspunkt ordnen kann, ausserordentlich
weit und kaum übersehbar. Die Ehe ist keineswegs das einzige
Institut, durch welches Jemand sich der Verarmung aussetzen
kann. Schon mancher hat als wohlhabender Mann ein Gewerbe
begonnen und als Armer geendet, weil er das Unternehmen nicht
verstanden hat und besser seine Hände davon gelassen hätte. Ist
es nun deshalb zulässig, in Bayern zu bestimmen, dass die Befug-
niss, ein Gewerbe zu betreiben oder etwa eine Zeitung heraus-
zugeben, einem Einspruch der Heimathsgemeinde unterliegt, wenn,
da letzterer die Befürchtung hegt, dass der Nachsuchende durch
sein Unternehmen sich oder seine Familie der Verarmung ent-
gegenführen wird? Unzweifelhaft ist es nicht gestattet, auf diese
Art das gesammte Gewerbe- und Pressrecht des Reiches für Bayern
aus den Angeln zu heben®. Einem solchen Unternehmen liesse
sich aber wiederum nur unter dem Gesichtspunkt begegnen, dass
die Befugniss des Reiches zum Erlass der Gewerbeordnung und
des Pressgesetzes auf solche Bestimmungen der Reichsverfassung
sich gründet, denen gegenüber kein Reservatrecht gilt und dass
derartigen Anordnungen der Reichsgewalt durch die Reservat-
rechte kein Eintrag geschehen darf.
Mit anderen Worten ausgedrückt: Der Rechtszustand ge-
genüber Bayern ist so zu denken, als ob die Worte „Heimaths-
und Niederlassungsverhältnisse* gar nicht im Art, 4 der Reichsver-
fassung ständen. Gesetze, die das Reich auch dann zu erlassen
kompetent wäre, wenn diese Worte gar nicht vorhanden wären,
kann es mit voller und uneingeschränkter Wirkung auch Bayern
° Der Art. 3 der Reichsverfassung (gemeinsames Indigenat) stünde dem
nicht im Wege. Er garantirt bloss, dass jeder Reichsangehörige als Inländer
zu behandeln ist. Auf Beschränkungen aus dem Gesichtspunkt der Orts-
angehörigkeit, welche auch die Angehörigen desselben Bundesstaats betreffen,
bezieht sich Art. 3 nicht.