Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zwölfter Band. (12)

_ 1 — 
der Reichsverfassung in dem engeren Sinne der armenrechtlichen 
Zugehörigkeit auffasst, ist der Kreis der Rechtsverhältnisse, die 
man unter diesem Gesichtspunkt ordnen kann, ausserordentlich 
weit und kaum übersehbar. Die Ehe ist keineswegs das einzige 
Institut, durch welches Jemand sich der Verarmung aussetzen 
kann. Schon mancher hat als wohlhabender Mann ein Gewerbe 
begonnen und als Armer geendet, weil er das Unternehmen nicht 
verstanden hat und besser seine Hände davon gelassen hätte. Ist 
es nun deshalb zulässig, in Bayern zu bestimmen, dass die Befug- 
niss, ein Gewerbe zu betreiben oder etwa eine Zeitung heraus- 
zugeben, einem Einspruch der Heimathsgemeinde unterliegt, wenn, 
da letzterer die Befürchtung hegt, dass der Nachsuchende durch 
sein Unternehmen sich oder seine Familie der Verarmung ent- 
gegenführen wird? Unzweifelhaft ist es nicht gestattet, auf diese 
Art das gesammte Gewerbe- und Pressrecht des Reiches für Bayern 
aus den Angeln zu heben®. Einem solchen Unternehmen liesse 
sich aber wiederum nur unter dem Gesichtspunkt begegnen, dass 
die Befugniss des Reiches zum Erlass der Gewerbeordnung und 
des Pressgesetzes auf solche Bestimmungen der Reichsverfassung 
sich gründet, denen gegenüber kein Reservatrecht gilt und dass 
derartigen Anordnungen der Reichsgewalt durch die Reservat- 
rechte kein Eintrag geschehen darf. 
Mit anderen Worten ausgedrückt: Der Rechtszustand ge- 
genüber Bayern ist so zu denken, als ob die Worte „Heimaths- 
und Niederlassungsverhältnisse* gar nicht im Art, 4 der Reichsver- 
fassung ständen. Gesetze, die das Reich auch dann zu erlassen 
kompetent wäre, wenn diese Worte gar nicht vorhanden wären, 
kann es mit voller und uneingeschränkter Wirkung auch Bayern 
  
° Der Art. 3 der Reichsverfassung (gemeinsames Indigenat) stünde dem 
nicht im Wege. Er garantirt bloss, dass jeder Reichsangehörige als Inländer 
zu behandeln ist. Auf Beschränkungen aus dem Gesichtspunkt der Orts- 
angehörigkeit, welche auch die Angehörigen desselben Bundesstaats betreffen, 
bezieht sich Art. 3 nicht.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.