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Das eben Gesagte lässt sich auf folgende Rechtsformel bringen:
Eine mehrfache Staatsangehörigkeit ist überall da vor-
handen, wo
I. ein Individuum bei seiner Geburt den den Eintritt der Staats-
angehörigkeit nothwendig bedingenden thatsächlichen Vor-
aussetzungen gleichzeitig in mehreren Staaten unterliegt;
II. ein Individuum in einem Staate die zum Erwerb der Staats-
angehörigkeit nothwendigen Voraussetzungen erfüllt oder
den die Nationalisirung kraft Gesetzes bedingenden that-
sächlichen Voraussetzungen unterliegt, gleichzeitig aber
den zum Verlust der Angehörigkeit eines anderen Staates,
dessen Verband er bereits angehört, erforderlichen Bedin-
gungen nicht nachgekommen ist oder nicht nachkommen
kann.
Geht man nun davon aus, dass das Band, welches den Staat
mit seinen Gliedern verknüpft, ein so enges ist, dass es die
Persönlichkeit der einzelnen Glieder ganz und voll in Anspruch
nimmt, dass der Staat von seinen Angehörigen die schrankenlose
Hingabe, ihre Treue und ihren Gehorsam verlangen kann, und
dass seinerseits der Unterthan das Recht auf den vollen Schutz
seines Staates nach aussen hat!’, so ist klar, dass der Besitz
mehrfacher Staatsangehörigkeit die unliebsamsten und mannig-
fachsten Konflikte herbeiführen kann, sowohl in den Beziehungen
zwischen Staat und Staat, als auch zwischen dem Staat und
seinen Gliedern.
Man braucht sich bloss den Fall zu vergegenwärtigen, dass
der Angehörige eines Staats dessen Schutz gegen einen anderen
anruft, der ihn seinerseits als ein Glied seines eigenen Verbandes
ansieht. Wonach soll man die persönlich-rechtlichen Verhältnisse
einer Person beurtheilen, wenn dieselben sich in beiden Ländern
15 SCHULZE a. a. O. S. 344, 845. — Weiss a. a. OÖ. S. 23. — Marrızz
a. a. OÖ. 8. 805.