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denfalls nicht zu denjenigen Gesetzen gehört, deren Wirk-
samkeit auf Bayern ausgedehnt werden könnte.“
Allein, um diese Bestimmung richtig zu würdigen, muss man
sich vergegenwärtigen, dass damals die Kompetenz des Reiches
auf das bürgerliche Recht und damit auf das bürgerliche Ehe-
recht sich nicht erstreckte. Diese Kompetenz ist erst durch
das Gesetz vom 20. Dez. 1873 begründet worden. Wenn deshalb
damals von einer Befugniss des Reiches „das Verehelichungs-
wesen zu regeln“ die Rede sein konnte, so war damit nur die
polizeiliche Seite des Eheschliessungsrechts gemeint, welche eben
wesentlich in den Materien der Heimaths- und Niederlassungs-
verhältnisse wurzelt. Lediglich auf die Kompetenz des Reiches
für letztere Materien gründete sich das zitirte Gesetz vom
4, Mai 1868, dessen Nichtgeltung für Bayern im Schlussprotokoll
vom 23. Nov. 1870 nur mit deklaratorischer Absicht festgestellt
worden ist. Nachdem inzwischen die Reichskompetenz auf das
bürgerliche Recht und damit auf das bürgerliche Eherecht aus-
gedehnt worden ist — und zwar, wie nicht zu bezweifeln ist,
mit Zustimmung Bayerns® — kann keine Rede mehr davon sein,
dass, wie es im Versailler Protokoll heisst „die Bundeslegislative
nicht zuständig sei, das Verehelichungswesen mit verbindlicher
Kraft für Bayern zu regeln“.
® Man könnte vielleicht die Frage aufwerfen, ob, wenn eine Aenderung
der Reichsverfassung durch Ausdehnung der Reichskompetenz beantragt wird,
der mit einem Reservatrecht privilegirte Staat berechtigt ist, zu verlangen,
dass auch der neu aufzunehmenden Materie die Einschränkung beigefügt
werde, dass die auf Grund derselben erlassenen Reichsgesetze sein Reservat-
recht nicht berühren dürfen und ob der betreffende Staat, wenn ihm dieser
Zusatz verweigert wird, der beantragten Verfassungsänderung wirksam wieder-
sprechen kann. Allein diese Frage braucht hier nicht entschieden zu werden.
Denn die uneingeschränkte Zustimmung Bayerns zur Ausdehnung der Reichs-
kompetenz auf das bürgerliche Recht ist nie bestritten worden. Darüber,
dass selbst eine wirkliche Beschränkung von Reservatrechten durch ein
Reichsgesetz dann wirksam erfolgen kann, wenn der berechtigte Staat im
Bundesrath dem betreffenden Reichsgesetz zustimmt, vgl. LaBann, das Staats-
recht des Deutschen Reiches, Bd. I $ 12 zu II No.3 (3. Aufl. S. 108).