— 265 —
zustand von dem gegenwärtigen nur in dem Gebiete wesentlich,
wo zur Gründung der Vereine keine Genehmigung einzuholen ist.
Das Recht der freien Association leidet unter dem Geiste poli-
zeilicher Bevormundung. Es ist nur insoweit Beschränkung zu
unterwerfen, als es die Rücksicht auf die Erhaltung der staat-
lichen Ordnung erheischt. Auf diesem Gebiete die richtige Grenze
zu finden, bleibt Aufgabe eines Reichsvereinsgesetzes. Die Vereine
sind neben der Presse Organe der öffentlichen Meinung und des
Rechtsbewusstseins des Volkes. Eine grosse Anzahl von Vereinen
stellt sich Aufgaben, die mit den Zwecken des Staats in Ver-
bindung stehend, diesem die Erfüllung seiner Aufgabe erleichtern.
Die Gesetzgebung muss desshalb der Assoziation auf diesem Gre-
biete fördernd entgegentreten. Die Erfolge auf dem Gebiete des
Vereinslebens sind zweifellos den bestehenden praktischen Be-
stimmungen zuzuschreiben, welche das Prinzip der Vereinsfreiheit
festhaltend, in der Beschränkung dieser Freiheit im öffentlichen
Interesse die richtige Grenze einhalten. Die Mannigfaltigkeit der
Einzelvorschriften, der Strafbestimmungen und Auflösungsgründe
in den Einzelstaaten ist desshalb zu beseitigen. Die ganze Ent-
wicklung drängt mit Ungestüm auf ein gemeinsames Vereinsgesetz
hin, denn der privatrechtliche Fortschritt im bürgerlichen Gesetz-
buch wird durch den unbefriedigten Zustand des öffentlichen
Rechts zum Theil parallelisirt.
In der neuesten Zeit trat bei den Debatten über Verlängerung
des Sozialistengesetzes die wichtige Frage in den Vordergrund.
Sie erhielt im Mai 1895 eine neue Anregung durch den von der
sozialdemokratischen Partei eingebrachten Gesetzesentwurf über
Versammlungsrecht und Koalitionsfreiheit. Auch in der 1896er
Session berieth der Reichstag über den von Abgeordneten der
Sozialdemokratie und der freisinnigen Volkspartei eingebrachten
Gesetzentwurf, betr. die Gewährung eines freien Vereins- und
2° $. Dr. Furn, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Korporationsbil-
dung in der Zeitschrift Soziale Praxis, IV. Jahrg. S. 288.