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und ihre Geschäfte besorgen, so wie es ja auch nicht nöthig ist, dass sich
zu einer Bundesraths-Sitzung 17 preussische und 6 bayrische Bevollmächtigte
einfinden. Es genügt ja vollkommen, wenn das stimmführende Fraktions-
mitglied anwesend ist, und selbst dieses kann in Verhinderungsfällen den
Stimmführer einer befreundeten Fraktion mit der Vertretung bei der Ab-
stimmung beauftragen. Durch das imperative Mandat ist ja die persönliche
Ansicht des einzelnen Abgeordneten eliminirt und das Gesammtvotum der
Partei an ihre Stelle getreten. Bis zu einem gewissen Grade hat das Frak-
tionswesen ja schon jetzt ähnliche Zustände hervorgerufen.
Man muss aber noch einen Schritt weitergehen. Mit dem Prinzip des
imperativen Mandats steht die Wahl durch die Majorität der einzelnen
Wahlkreise in Widerspruch. Der gewählte Abgeordnete vertritt nur so
viele Staatsbürger, als er auf Grund seines Programms Stimmen bekommen
hat; alle, die sich durch ihre Abstimmung gegen sein Programm erklärt
haben, können ihm doch nicht den Auftrag geben, diesem Programm gemäss
im Parlament zu stimmen. Die zufällige Gruppirung und Stärke der Par-
teien in den einzelnen Wahlkreisen kann nicht dafür maassgebend sein, welche
Staatsbürger ihren Antheil an der Souveränetät ausüben können, weil sie in
der Majorität sind, und welche von der Ausübung ausgeschlossen werden,
weil sie bei der Wahl des Deputirten überstimmt worden sind. Wenn das
Programm der einzelnen Parteien für das ganze Land dasselbe ist und jeder
wahlberechtigte Staatsbürger seinen Antheil an Herstellung der volonte
generale haben soll, so muss das ganze Land einen einzigen Abstimmungs-
bezirk bilden und jede Partei im Parlament so viele Stimmen führen als der
(Gresammtzahl der für sie abgegebenen Stimmzettel entspricht. Die letzteren
brauchen ja alsdann gar keinen Namen zu enthalten; sie können rothe,
schwarze, blaue Papierstreifen sein, durclı deren Gesammtzahl bestimmt wird,
wie viele Stimmen das von einem Üentralwahlcomit&e ernannte Parteihaupt
im Parlament führt. Aber auch das letztere ist entbehrlich; warum sollte
nicht über wichtige Fragen der souveräne Staatsbürger selbst und ohne die
Dazwischenkunft eines Vertreters seine höchsteigene Ansicht abgeben? So
führt das imperative Mandat in seiner letzten Konsequenz zum Plebiszit
oder dem obligatorischen Referendum, und in der That entspricht dem Ge-
danken der Volkssouveränetät nicht die repräsentative Verfassung, sondern
die unmittelbare Erklärung des Volkswillens durch eine einheitliche Ab-
stimmung der Gesammtheit. Wird die definitive Entscheidung über wichtige
Fragen durch eine unmittelbare Volksabstimmung gegeben, so verlieren die
Vertretungskörperschaften ihre politische Bedeutung; sie verwandeln sich in
Kommissionen von Vertrauensmännern der Parteien zur Vorbereitung und
Abfassung der Gesetzentwürfe, zur Formulirung der dem Volke vorzulegen-
den Fragen. Zwischen dem Verbot und der Zulassung des imperativen Man-
dats liegt daher der Gegensatz zwischen der repräsentativen Verfassung und
der unmittelbaren Demokratie. Laband.