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sirt namentlich gegen Max SEYDEL und mich, weil wir das Verwaltungsver-
fahren als ein „formloses* bezeichnet haben (S. III, 24, 26). Unserer An-
schauung tritt er mit der Behauptung entgegen: „eine formlose menschliche
Thätigkeit ist nicht denkbar“ (S. 3). Dieser Satz ist an und für sich voll-
kommen zutreffend. Aber er beweist nichts gegen die von uns vertretene
Ansicht. Die Bezeichnung des Verwaltungsverfahrens als eines „formlosen“
soll doch nicht besagen, dass die Verwaltungsakte gar keine Form hätten,
sondern nur, dass für dieselben im Allgemeinen eine bestimmte Form nicht
vorgeschrieben, die Wahl der Form, z. B. ob mündliche oder schriftliche Er-
Öffnung des Beschlusses stattfindet, also dem Ermessen der Verwaltungs-
behörde überlassen ist, dass insbesondere die Rechtsgültigkeit oder Verbind-
lichkeit des Verwaltungsaktes durch die Beobachtung dieser oder jener Form
nicht bedingt wird. Genau in demselben Sinne spricht man im Privatrecht
von dem Grundsatz der Formlosigkeit der Verträge. Dass übrigens auch im
Verwaltungsverfahren die Beobachtung bestimmter Formen vorgeschrieben
sein kann, habe ich in meinem Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts
(Ba. I S. 35) ausdrücklich anerkannt. Und dass ich die rechtliche Bedeu-
tung dieser Formen nicht unterschätze, dafür kann ich mich wohl darauf be-
rufen, dass ich an den verschiedensten Stellen meines Werkes über das Ver-
fahren z. B. in Enteignungssachen, Gewerbesachen, Patentsachen, Angelegen-
heiten der Arbeiterversicherung, Aushebungen, Steuer- und Zollerhebungen
so ausführlich gehandelt habe, wie dies im Rahmen eines Lehrbuches müg-
lich war.
Auch gegenüber den Ausführungen des Verf. muss daran festgehalten
werden, dass die Bestimmungen über die Formen im Verwaltungsverfahren
nicht die Rolle spielen wie im zivil- und strafprozessualischen oder im ver-
waltungsgerichtlichen, dass bei Verwaltungssachen dem Ermessen der Be-
hörden hinsichtlich der zu beobachtenden Formen immerhin ein ziemlich
grosser Spielraum bleibt. Ich halte daher den vom Verf. beliebten Ausdruck
„Administrativprozessrecht“ für keinen ganz glücklichen und möchte die
Behauptung, dass dieses Administrativprozessrecht seinem geistigen Gehalte
nach dem Zivil- und Strafprozessrecht vollständig ebenbürtig sei, nicht ohne
Weiteres unterschreiben. Dem Verf. ist zuzugeben, dass durch eine ent-
sprechende Regelung des Verwaltungsverfahrens dem Einzelnen ein gewisser
Schutz gegen behördliche Willkür gewährt werden kann. Aber ich bin, um
zunächst einmal von den österreichischen Verhältnissen auszugehen, doch
übereinstimmend mit LemAYEer der Meinung, dass dieser Schutz wirksamer
durch die Organisation der Behörden als durch die Formen des Verfahrens
gesichert wird. Auf die Feststellung der im Verwaltungsverfahren geltenden
Grundsätze legt der Verf. auch desshalb grosses Gewicht, weil in Oester-
reich der Verwaltungsgerichtshof nach & 6 des Gesetzes vom 22. Okt. 1875
befugt ist, die vor ihm angefochtene Entscheidung oder Verfügung einer Ver-
waltungsbehörde wegen mangelhaften Verfahrens aufzuheben (8. V, 15). Die