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Bestimmungen über das administrative Verfahren können daher, wie der Verf.
mit Recht hervorhebt, eine unmittelbare praktische Bedeutung für die Recht-
sprechung gewinnen. Aber man darf dabei doch nicht übersehen, dass die
Fälle, in denen Verwaltungsverfügungen wegen mangelhaften Verfahrens auf-
gehoben werden, in der Praxis keine sehr erhebliche Rolle spielen.
So hoch wie der Verf. kann ich daher die Bedeutung der Grundsätze
über das Administrativverfahren nicht schätzen. Immerhin bin ich gern
bereit, anzuerkennen, dass der Gegenstand in der bisherigen verwaltungs-
rechtlichen Litteratur nicht diejenige Beachtung gefunden hat, welche er ver-
diente. Der Verf. hat sich daher ein unbestreitbares Verdienst erworben,
dass er denselben einer so eingehenden Bearbeitung unterzieht. Seine Arbeit
war keine leichte. Er hatte mit der doppelten Schwierigkeit zu kämpfen,
dass er in der Litteratur durchaus keine Vorgänger besass und dass die Be-
schaffenheit der Quellen eine sehr mangelhafte ist. Gesetzliche Bestimmungen
über Verwaltungsverfahren giebt es auch in Oesterreich nur in geringem Um-
fange. Der Verf. war daher für sein Werk grossentheils auf Argumentationen
aus der Natur der Sache und auf die Entscheidungen des österreichischen
Verwaltungsgerichtshofes angewiesen, welche er zum Gegenstand eines fleis-
sigen Studiums gemacht hat. Ueberhaupt ist die Bearbeitung eine sehr
sorgfältige und gründliche. Dem Verf. ist es gelungen, den spröden Stoff
wissenschaftlich zu durchdringen und demselben eine juristische Seite abzu-
gewinnen. So darf das Werk unbedenklich als eine erfreuliche Bereiche-
rung der verwaltungsrechtlichen Litteratur bezeichnet werden.
G. Meyer.
Max von Seydel, Kommentar zur Verfassungs-Urkunde für das
Deutsche Reich. 2. umgearbeitete Auflage. 1. Abteilung. Frei-
burg u. Leipzig 1897. Akad. Verlagsbuchhrndlung von J. C. B. Mohr
(P. Siebeck). 218 S. 4,80 Mk.
Das Erscheinen des SeypeL’schen Kommentars erregte vor mehr denn
20 Jahren weitgehende Entrüstung in wissenschaftlichen und politischen
Kreisen; man nannte den jungen Gelehrten, der die herrschenden Schulbegriffe,
namentlich die Waıtz’sche Bundesstaatstheorie, als unhaltbar bekämpfte, einen
„wissenschaftlichen Hochverräter, Demokraten und Reichsfeind*. Inzwischen
ist man ruhiger geworden, und der Ausspruch P. Lapanv’s: „Das ziemlich
verbreitete Verfahren, diese (die Seypru'sche) Theorie damit anzugreifen,
dass man sie als politisch gefährlich, unpatriotisch und reichsfeindlich cha-
rakterisiert, ist wissenschaftlich unzulässig und sachlich ungerechtfertigt* —
'hat wohl allgemeine Beachtung gefunden. Auch im Norden unseres deutschen
Vaterlandes ist allmählich die Bedeutung SEypErL's für die Entwickelung der
deutschen Staatsrechtswissenschaft anerkannt worden, nachdem er in Bayern
durch die eminente Bearbeitung des bayerischen Staatsrechtes längst eine