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der Bundesgemeinschaft ausdehnen können, vermöge ihrer Souveränetät un-
möglich etwas zu schaden.
SEYDEL prüft den einzigen Gegengrund, womit HÄneL unter Zustimmung
von LABAND und ZoRN die Unhaltbarkeit der SeypEu'’schen Theorie darthun
will, — die übrigen vorgebrachten Beweisgründe bezeichnet SEYDEL nur als
Stützen der eigenen Auffassungen der einzelnen Staatsrechtslehrer —, näm-
lich den Einwand, dass die Bundesverfassung einen für das Landesgesetz
jedes einzelnen Staates unmöglichen Inhalt habe. „Häneu erklärt das für
unmöglich, was alle Tage vorkommt: die Ausstattung eines Staatsvertrages
mit formeller Rechtskraft. Nur ein kleiner Teil der Reichsverfassung ist
Gesetz im materiellen Sinne; überwiegend enthält sie Bundesrecht, und
dieses mit der Wirkung des formellen Gesetzes auszustatten, ist nichts Un-
mögliches. Wenn für einen Staatenbund gemeinsame Organe bestimmt und
diesen Zuständigkeiten angewiesen werden sollen, die über sämtliche ver-
bündete Staaten sich erstrecken, so kann dies meist nicht anders geschehen als
durch Sätze, welche in ihrem Inhalte über das Gebiet des einzelnen Staates
hinausgehen, Die Bundesverfassung will nicht einheitliches Gesetz für den
ganzen Bund, sondern offenbar ganz Vertrag und ganz formelles Gesetz sein.“
Ob HäneL seinen Einwand, dessen Haltlosigkeit JELLINEK ebenfalls dargelegt
hat — vgl. auch LaBann, Staatsrecht I, S. 601ff. — aufrecht erhalten will,
kann vorerst abgewartet werden, für eine Widerlegung der SEYpEL’schen
Lehre vermögen wir diese Einwendung nicht zu erachten.
Es ist bei der Grundanschauung SEYpEL’s klar, dass er den Versuchen,
das Präsidium des Bundes unter Berufung auf den Kaisertitel, auf manche
Gewohnheiten des amtlichen und diplomatischen Verkehrs etc. zu einer Mon-
archenstellung zu entwickeln und die Präsidialgewalt formell und materiell
loszulösen von der preussischen Königsgewalt, scharf entgegentritt. „Das
politische Problem war, die infolge des preussischen Uebergewichtes nahe-
liegende Gefahr des Einzelstaates ebenso zu vermeiden, wie die frühere Zer-
fahrenheit im alten deutschen Bunde. Um den Föderalismus mit der Hege-
monie zu versöhnen, ging man von dem Gedanken des Staatenbundes aus.
Die Bundesgewalt ist die Staatsgewalt sämtlicher verbündeter Staaten, aber
keine neue und vor allem keine über den einzelnen Staaten stehende Macht.
Wenn nun die Verfassung für die Träger der Bundesgewalt — die deutschen
Souveräne — zur Ausübung ihrer Gewalt Organe schafft, so ist klar, dass diese
‚Organe nicht selbst Träger der Gewalt, sondern nur Organe sind und nichts
weiter. Im Deutschen Reiche sind das der Bundesrat und der Kaiser. Der that-
sächlichen Notwendigkeit, die ausführende Gewalt in der Hand des Stärksten
zusammenzufassen, entspricht die Verfassung durch Bestellung des Bundes-
präsidiums, welches nur abgeleitete Rechte ausübt und nur „im Namen des
Reiches“ handelt. Der Kaiser handelt zwar nicht auf Befehl der Verbün-
‚deten, aber stets in ihrem Namen. Das Präsidium ist eine preussische Ge-
walt, nicht über den Bund, aber im Bunde, und zwar ist sie dies nicht, wie
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