Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zwölfter Band. (12)

Der Positivismus in der Rechtswissenschaft. 
Von 
Dr. A. AFFOLTER in Solothurn. 
Es wird wohl heute allgemein anerkannt, dass der Beamte 
sich an das im Staate geltende Recht zu halten hat, dass er 
seinen Entscheidungen und Verfügungen das positive Recht zu 
Grunde legen muss. Eine andere Quelle des Rechts als die 
staatliche Quelle ist für ihn ausgeschlossen, ein sog. Natur- oder 
Vernunftsrecht darf in keiner Form Berücksichtigung finden. Ein 
Richter würde seine Pflicht schwer verletzen, wenn er unter 
Ausserachtlassung der staatlichen Normen sich auf ein höheres, 
natürliches oder philosophisches Recht berufen wollte. 
Darin, glaube ich, sind die Vertreter der Rechtswissenschaft 
so ziemlich einig. 
Wir können diese herrschende Richtung die positive nennen. 
Unter Positivismus aber bezeichnen wir eine Ausschreitung 
dieser Schule, die Uebertreibung des Satzes, dass nur das staat- 
liche Recht im Staate Anerkennung finden dürfe. Diese Ueber- 
treibung macht sich nach drei Richtungen hin geltend: der Kul- 
tus, der mit dem Gesetzesbuchstaben getrieben wird; die Strenge, 
womit bei der Begriffsbestimmung des Rechts auf die Positivität 
abgestellt wird und endlich die Einseitigkeit, die darin liegt, dass 
man die Positivität in ein äusserlich wahrnehmbares Geschehniss, 
wie namentlich in die staatliche Sanktionirung verlegt!. 
  
‘ Vgl. BERGBOHM, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie S. 538 ff.
	        
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