Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zwölfter Band. (12)

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Ueber die grundsätzliche Stellung, welche der Staat der Schei- 
dung gegenüber einzunehmen hat, sprechen sich die Motive des 
ersten Entwurfs dahin aus: „Da die Ehe ihrem Begriff und 
Wesen nach unauflöslich, die Scheidung daher stets etwas Ano- 
males ist, so verdient schon von diesem Gesichtspunkte aus die 
Scheidung, wenn gleich dieselbe aus den hervorgehobenen Gründen 
nicht zu entbehren, doch keine Begünstigung. Für eine strengere 
Gestaltung des Scheidungsrechts sprechen aber auch vom staat- 
lichen Standpunkte aus die gewichtigsten Gründe. Der Staat 
hat ein dringendes Interesse daran, darauf hinzuwirken, dass die 
Ehe als Grundlage der Gesittung und Bildung so sei, wie sie 
sein soll und deshalb das Bewusstsein des sittlichen Ernstes der 
Ehe und die Auffassung derselben als einer von dem Willen der 
Ehegatten unabhängigen sittlichen Ordnung im Volke zu för- 
dern, dies geschieht durch Erschwerung der Ehescheidung. Es 
wird dadurch einerseits der Eingehung leichtsinniger Ehen ent- 
gegengetreten, anderseits darauf hingewirkt, dass die Führung 
in der Ehe selbst eine dem Wesen der Ehe entsprechende ist, 
da, wenn die Ehegatten wissen, dass die Ehe nicht leicht wieder 
gelöst werden kann, die Leidenschaften, welche den Wunsch 
nach Scheidung erregen, eher unterdrückt, eheliche Zerwürfnisse 
leicht wieder beseitigt werden und an Stelle der Willkür die 
Selbstbeherrschung und das Bestreben der Ehegatten treten, sich 
einander zu fügen. Dazu kommt, dass auf der Festigkeit der 
Ehe im Gegensatze zum Konkubinate die höhere sittliche Stel- 
lung des weiblichen Geschlechts beruht, eine zu grosse Erleich- 
terung der Scheidung auch den öffentlichen Wohlstand und die 
Erziehung der Kinder gefährdet. Auf der anderen Seite darf 
indessen die staatliche Gesetzgebung auch die Bedürfnisse des 
Lebens und die realen Verhältnisse sowie den Charakter der Ehe 
als eines Rechtsverhältnisses nicht ausser Acht lassen; der Cha- 
rakter der Ehe als eines Rechtsverhältnisses legt dem Staate die 
Pflicht auf, den einen Ehegatten gegen den anderen zu schützen,
	        
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