Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zwölfter Band. (12)

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den realen Verhältnissen in so ungenügendem Grade Berücksich- 
tigung zu Teil werden liessen, als von ihnen selbst nicht verkannt 
wurde, „dass, hingesehen auf die realen Verhältnisse des Lebens, 
auf die wirtschaftlichen Nachteile und die sittlichen Gefahren, 
welche dem Ehegatten und den Kindern drohen, wenn erstere 
durch die Versagung des Scheidungsrechts gehindert wird, eine 
neue Ehe einzugehen, vom sozialpolitischem Gesichtspunkte aus 
gewichtige Gründe für die Zulassung der Scheidung wegen 
Geisteskrankheit sprechen.“ Das Gewicht dieser unbedingt zwin- 
genden Gründe wurde nicht vollständig beachtet und nicht ent- 
sprechend in die Wagschale gelegt, während man den Gegen- 
gründen eine ganz übertriebene Bedeutung beilegte. Die Paralleli- 
sierung von körperlicher Krankheit und Geisteskrankheit erweist 
sich bei näherer Betrachtung als ein Trugschluss schlimmster 
Art; wenn auch selbstverständlich durch schwere körperliche Er- 
krankung eines Ehegatten das Gemeinschaftsleben in einschnei- 
dender Weise berührt wird, wenn auch nach zahlreichen Richtungen 
hin dasselbe eine Störung erleidet, welche geduldig zu ertragen 
nicht selten einen wahren Heroismus der Pflichterfüllung erfor- 
dert, so wird doch auch bei schwerster körperlicher Erkrankung 
in den meisten Fällen oder doch vielfach die geistige Gemein- 
schaft aufrecht erhalten werden, es bleibt die geistige Grund- 
lage der Ehe gewahrt, der geistige Kontakt, der gemeinsame 
Gedankenaustausch, die Besprechung und Beratung gemeinsamer 
Angelegenheiten ist nach wie vor möglich, vielleicht nur unter 
Ueberwindung grosser Hindernisse, vielleicht sehr erschwert, aber 
sie ist und bleibt möglich. Wie ganz anders aber in dem Falle, 
wenn Geisteskrankheit den Ehegatten getroffen bat? Hier ist 
von einer Aufrechterhaltung der geistigen Gemeinschaft keine 
Rede mehr, der Kranke entbehrt des Verständnisses, zumeist 
auf der Empfindung für das, was um ihn herum vorgeht, was 
die anderen bewegt und beschäftigt, es ist mit ihm nichts mehr 
zu besprechen und zu erwägen, die geistige Grundlage der Ehe
	        
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