— 45° —
von Rechtsfragen eine grössere Rolle spielt als in den unteren,
kann sich dem Studium der Prozesse nicht mit der nötigen Musse
hingeben; wenn er sich auch noch mit solchen Geschäften be-
fassen soll. Besitzen wir trotzdem unter den Notaren, die
gleichzeitig Rechtsanwälte an oberen Gerichten sind, ganz her-
vorragende juristische Kapazitäten, so sind dies Ausnahmen, die
für den Durchschnitt nichts beweisen. Bei der Rechts-
anwaltschaft am Reichsgericht sind solche Geschäfte ausge-
schlossen. Auch bei ihr beruht, wie bei der Advokatur am
französischen Kassationshof, welcher sie entspricht, die privi-
legierte Stellung auf der Enthaltsamkeit von Verwaltungs-
geschäften.
Mit der Rechtsanwaltschaft an den Kollegialgerich-
ten erster Instanz ist das Notariat gleichfalls nicht ver-
einbar. Denn diese duldet ebensowenig, wie die Rechtsanwalt-
schaft an den oberen Gerichten eine Zersplitterung der Kräfte.
Wie der Rechtsanwalt, der seinen schwierigen und aufreibenden
Beruf ordentlich versehen will, sich um das Notariat nıcht küm-
mern kann, so ist es umgekehrt dem Notar nicht möglich, sich
mit den die ganze Kraft des Mannes absorbierenden Rechts-
anwaltsgeschäften zu befassen. Dazu kommt, dass in der ersten
Instanz der Prokurator mehr in den Vordergrund tritt (Archiv
XII, 32), dessen Thätigkeit eine Menge Verlockungen zu unred-
lichen Handlungen in sich schliesst und infolgedessen die Auf-
gabe des Advokaten, das Recht gegen alle Anfechtungen zu
schützen ohnehin schon erschwert wird. Diese Erschwerung
wird aber noch erhöht, wenn der Rechtsanwalt, die vom No-
tariat unzertrennlichen Vermögensregulierungen und Makler-
geschäfte besorgen soll, die nicht minder solche Verlockungen
involvieren. Das Gesagte gilt selbstverständlich auch für die
Rechtsanwaltschaft bei den Amtsgerichten. Nichts-
destoweniger kann in kleinen Orten die Verbindung mit dem
Notariat durch die Verhältnisse bedingt sein. In solchen Fällen