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lich nicht die Bedeutung, dass der Richter sich über unzweifel-
hafte Grundprinzipien der Gesetzgebung hinwegsetzen darf, auch
wenn die allgemeine Anschauung und das vorgeschrittene Rechts-
bewusstsein für eine Aenderung spricht; hier ist es Pflicht des
(tesetzgebers, sich aufzuraffen und seinen geänderten Willen un-
zweideutig auszusprechen.
Der Gesetzgeber erkennt häufig diesen rechtsausbildenden
Factor der Rechtssprechung selbst an, indem er in der Gesetz-
gebung absichtlich Details unerwähnt lässt oder eine allgemeine
Fassung vorzieht oder das Ermessen des Richters anruft. In
allen diesen Fällen will aber der Gesetzgeber gewiss nicht, dass
beim Richter rein subjective Anschauungen spielen dürfen, son-
dern er setzt voraus, dass der Richter dabei die allgemeine Rechts-
entwicklung, den Stand der Rechtswissenschaft, das Rechtsbewusst-
sein des Volkes, die öffentliche Meinung u. s. w., also Factoren
berücksichtigen soll, welche alle auch Grundlagen des Gesetz-
gebungswillens sind.
Die Positivität des Rechts liegt darin, dass der massgebende
Wille des Gemeinwesens die Anwendung fordert. Diesen mass-
gebenden Willen haben wir kurz den gesetzgeberischen Willen
genannt. Der gesetzgeberische Wille wird, wenn er sich offen
erklärt, die Rechtsätze, deren Anwendung er fordert, aufzählen
oder so bezeichnen müssen, dass eine Verwechslung nicht mög-
lich ist (Gesetzgebungsact). Der Gesetzgebungswille wird dabei
auf bereits sich vorfindende Rechtssätze Bezug nehmen müssen;
denn die Bildung und Formulirung der Rechtssätze geht dem
Gesetzgebungsacte zeitlich voraus, Dies wird namentlich klar,
wenn z. B. ein Land das Oivil- oder Handelsgesetzbuch eines be-
freundeten Staates ebenfalls einführt, oder doch das Wesentliche
® Die Gesetzgebung eines Staates über eheliches Güterrecht entspricht
vielleicht der Auffassung über die Stellung der Frau nicht mehr, trotzdem
darf der Richter sich über die ausgesprochenen Rechtssätze nicht hinweg-
setzen, quoties certum mandatum, recedi a forma non debeat (1. 46 D. 17, 1).