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gewöhnlich so enorm, die Beeinflussung durch nationale Sym-
pathie, Stolz und Voreingenommenheit derartig durchgreifend,
stark und fein, dass es zweifelhaft ist, ob ein Gerichtshof, dessen
Mitglieder einen permanenten Charakter besitzen, selbst wenn
er nur aus Personen bestehen sollte, welche an die Ausübung
richterlicher Funktionen gewohnt sind, längere Zeit hindurch
sich das allgemeine Vertrauen bewahren könnte. Es steht zu
befürchten, dass er nach und nach unerträglich anmassend wer-
den wird. Auch einer von einer anderen Seite drohenden Ge-
fahr ist vorzubeugen. Solange der Kriegsschauplatz der einzige
Ort verbleibt, wo internationale Differenzen zum Austrag kom-
men können, ist das Risiko des Unterliegens so gross und das
blosse Gerücht eines Krieges für Handel und Wandel so nach-
teilig, dass eine Nation nur selten gänzlich unbegründete An-
massungen vorbringen wird und dass alle Staatsmänner, mögen
sie unmittelbar interessiert sein oder nicht, ängstlich bemüht sein
werden, den Krieg zu verhindern. Schafft man indessen einen
permanenten Völkergerichtshof, an welchen sich jene Macht mit
geringen Kosten und mit geringem Risiko wenden kann, so
liegt die Versuchung recht nahe, unbegründete Ansprüche zu
erheben, zu deren Unterstützung sich in den meisten Staaten —
Grossbritannien und die Vereinigten Staaten schwerlich ausge-
schlossen — Chauvinisten finden werden, welche nur zu bereit
sind, ihrem unechten, aufreizenden Patriotismus Luft zu schaffen.
Es gibt einen Einfluss, zu dessen Ausübung die Mächte nach
Völkerrecht befugt sind, nämlich zur Ausübung einer vermit-
telnden Thätigkeit. Die 1856 auf dem Pariser Kongress ver-
sammelten Bevollmächtigten legten im dreiundzwanzigsten Pro-
tokoll folgende trefflichen Gedanken nieder: „Die Bevollmächtigten
zaudern nicht, im Namen ihrer Regierungen dem Wunsche Aus-
druck zu verleihen, dass Staaten, zwischen denen ernstliche Miss-
rstände entstehen sollten, sich vor der Aufnahme der Waffen,
soweit die Umstände es gestatten, der guten Dienste einer be-