Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zwölfter Band. (12)

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Zeitpunkte beginnt auch die Anerkennung oder das Anerkennen- 
müssen der Rechtssätze durch das Publikum. Die Construction 
einer Pflicht des einzelnen Bürgers zur Befolgung der Rechts- 
sätze lässt sich nicht wohl aufstellen, indem der Privatmann nicht, 
wie der Beamte eine bezügliche Pflicht übernommen hat. Nur eine 
moralische Verpflichtung liegt für den Bürger vor, soweit das Recht 
sittlichen Inhaltes ist. Die Annahme einer Pflicht des einzelnen 
Bürgers zur Befolgung der als positiv deklarirten Rechtssätze ist 
übrigens zur Begründung der Posivität durchaus nicht erforderlich. 
Es genügt, wenn die Pflicht der Behörde da ist; daraus resultirt 
für das Publikum die indirecte Nöthigung, um Nachtheilen aus- 
zuweichen, die Rechtssätze anzuerkennen "°. 
Es giebt eine Positivität, die entweder historisch gegeben ist 
oder so unvermittelt eintritt, dass wir den Rechtssatz, dessen An- 
wendung und Ausführung bereits vorliegt, nicht ausgesprochen 
finden. Es gilt dies namentlich von der staatlichen Organisation. 
Die historisch gegebene Organisation eines Staatswesens ist da, 
sie wird von der Verfassung als gegeben anerkannt, nicht erst 
? Der Gesetzgeber richtet seine Gesetze sowohl an die Behörden, wie 
an das Publikum, in beiden Fällen aber von einem verschiedenen Stand- 
punkte aus. Das Gesetz ist gegenüber den Behörden Präcisirung, Erweite- 
rung, Abänderung des Mandates; gegenüber dem Publikum ist das Gesetz 
eine Darstellung, wie sich der einzelne Bürger zu verhalten hat, wenn er im 
Sinne des Gesetzgebers handeln will und sich vor Nachtheilen, die von den 
Behörden verhängt werden, schützen will. Der Gesetzgeber, soweit er sich 
an das Publikum wendet, lehrt, wünscht, begehrt oder erlaubt. Das Gesetz 
ist nicht Befehl an den einzelnen Bürger; wohl aber gelangen an den ein- 
zelnen Bürger Befehle der Behörden, gestützt auf das Gesetz, z. B. Befehl, 
sich zum Militärdienste zu stellen, Steuern zu zahlen, als Zeuge oder Sach- 
verständiger zu erscheinen u. s. w. Befehle erfolgen auch von höheren Be- 
hörden an untere, wiederum in Folge eines gesetzmässigen Verhaltens. 
Während aber die Befolgung rechtmässiger Befehle durch die unteren Be- 
hörden Ausübung einer übernommenen Pflicht ist, ist die Befolgung gesetzes- 
mässiger behördlicher Befehle durch den Bürger nicht Ausübung einer über- 
nommenen Pflicht, sondern Ausfluss seiner Achtung vor den Staatsinstitutionen, 
seiner Einsicht und der Furcht vor zu gewärtigenden Nachtheilen.
	        
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