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werde & 10 des Gesetzes vom 30. Dez. 1871 durch $ 12 des
Freizügigkeitsgesetzes, welches erst nach dem Gesetz vom 30. Dez.
1871 in Elsass-Lothringen eingeführt worden sei, modifizirt®.
Der Abgeordnete von PUTTKAMER-FRAUSTADT erklärte in
der Reichstagssitzung vom 17. Mai 1873 ebenfalls, dass die for-
melle Rechtsgültigkeit der von dem ÖOberpräsidenten verfügten
Ausweisungen zweifelhaft sein könne und dass er für seine Person
die rechtlichen Bedenken des Abgeordneten WINDTHORST theile°.
8 Reichstagssitzung vom 16. Mai 1873 (Sten. Ber. S. 680): „Wenn man
annehmen wollte, dass unter den nach seiner Bestimmung zulässigen allen
Massregeln jede, selbst sonst ungesetzliche Massregel zu verstehen sei, dann
könnte man auch behaupten, der Oberpräsident sei danach auch berechtigt,
Prügelstrafe zu erkennen, die Guillotine auffahren zu lassen. Es können
aber unter jenem Ausdruck nur gesetzliche Massregeln gemeint sein. Eine
gesetzliche Massregel ist die Ausweisung ausser Landes überhaupt nicht und
selbst, wenn bei dem Erlass der betr. Verordnung es eine gesetzlich zulässige
Massregel gewesen wäre, würde dieselbe nach der Einführung des $ 12 des
Freizügigkeitsgesetzes wieder beseitigt sein“ (vgl. ferner Sten. Ber. S. 690 ff.).
® Reichstagsverhandlungen vom 17. Mai 1873 (Sten. Ber. S. 697): „Ich
will die formelle Rechtfertigung dieser Ausweisungen nicht ohne Weiteres
übernehmen. Ich glaube nur verpflichtet zu sein, darauf aufmerksam zu
machen, dass das betr. Gesetz keineswegs so horrende ist, wie derselbe es
geflissentlich hingestellt hat, gewissermassen als sei damit dem Oberpräsi-
denten von Elsass-Lothringen die Befugniss gegeben, die Guillotine aufzu-
stellen und die Leute nach Belieben köpfen zu lassen, wenn er es im Inter-
esse der öffentlichen Sicherheit für erforderlich erachtet. Davon ist gar keine
Rede. Es handelt sich gar nicht darum, dass die Anwendung solcher Straf-
arten oder Strafmittel, die an und für sich den Verwaltungsbehörden über-
haupt nicht zustehen, durch dieses Gesetz dem Oberpräsidenten habe einge-
räumt werden sollen. Dass dagegen die polizeiliche Ausweisung in gewissem
Umfange Rechtens ist, das wird der Herr Abgeordnete WInDTHoRST nicht
bestreiten wollen; sie ist zulässig ganz allgemein den Ausländern gegenüber;
sie ist es aber nach dem hier massgebenden französischen Gesetze über den
Belagerungszustand unter Beschränkungen auch den Inländern gegenüber ...
Die ganze Frage ist also die: ist die Befugniss, die das französische Gesetz
den Behörden giebt, durch den $ 10 in der Art ausgedehnt worden, dass
man aus den in Belagerungszustand erklärten Gebieten auch den dort wohn-
haften und sesshaften Mann ausweisen kann — keineswegs aus den Grenzen
Deutschlands, davon ist gar keine Rede, sondern aus den Grenzen der Reichs-