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welche durch Erlass des Statthalters vom 12. Sept. 1881 verfügt
wurde, vorhanden gewesen !®.
Der Reichstag hat von allen diesen juristischen Bedenken
keine Notiz genommen. Derselbe hat die formelle Rechtsgültig-
keit der von dem Oberpräsidenten und dem Statthalter auf Grund
des Diktaturparagraphen getroffenen Massregeln niemals bean-
standet. In Folge dessen hat sich die ursprünglich von dem
Abgeordneten WINDTHORST bekämpfte Ansicht immer mehr ver-
breitet, dass der Oberpräsident bezw. der Statthalter auf Grund
des Diktaturparagraphen jede beliebige Massregel vornehmen
könnten, dass weder Reichs- noch Landesgesetze eine Schranke
für die diskretionären Gewalten dieser Beamten bildeten.
Interessant ist es nun, dass gerade die Abgeordneten der
Öppositionsparteien und speziell die Abgeordneten aus Eilsass-
Lothringen es gewesen sind, welche diese Ansicht von der un-
beschränkten Gewalt des Oberpräsidenten auf das Eifrigste ver-
treten haben. Offenbar sind dieselben bei dieser Taktik von dem
Hintergedanken geleitet worden, die theoretische Bedeutung des
Diktaturparagraphen möglichst zu übertreiben, um denselben als
politisches Agitationsmittel verwerthen zu können.
Der erste Abgeordnete, welcher das Dogma von der
schrankenlosen Gewalt des Oberpräsidenten auf der Tribüne des
Reichstags verkündet hat, ist der Abbe GUERBER von Hagenau
gewesen, der in der Reichstagssitzung vom 3. März 1874 Folgen-
des erklärte:
„Dieser Artikel (d. i. Art. 10) legt in die Hände des Ober-
präsidiums von Strassburg eine Gewalt so gross, ich möchte
sagen, so masslos und exorbitant, wie sie kaum ein Monarch in
ganz Europa besitzt. Ich unterscheide in diesem Artikel
sorgfältig zwei Punkte: den ersten, welcher darin besteht, dass
dem Präsidenten eine unbeschränkte Diktatur, ein unbeschränk-
18 „Recht der Wiedergewonnenen“, S. 47—49,