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werfe; in keinem anderen civilisirten Staate sei auch nur an-
nähernd eine solche Gesetzesbestimmung zu finden??®. In der-
selben Reichstagssitzung bemerkte der Abgeordnete BEBEL:
„Missbrauch der Diktatur ist eine contradictio in adjecto; Diktatur
bedeutet absolute Willkür — ich wiederhole es: Diktatur be-
deutet, zu thun, was man im Öffentlichen Interesse für geeignet
und nothwendig hält. Und das ist ein so ausserordentlich dehn-
barer und weitgehender Begriff, dass man Alles, was man im
politischen, im öffentlichen Leben eines Volkes für möglich halten
kann, darunter zu fassen vermag. Selbst das Gesetz ist in diesem
Falle keine Schutzwehr für die Staatsangehörigen, man kann
auch über das Gesetz hinausgehen, man hat dazu die
Vollmacht. An die bestehenden Landesgesetze ist man nicht
gebunden, braucht sich nicht daran zu kehren“ ®®,
Auch am Regierungstische sind wiederholt Aeusserungen
gefallen, die sich im Sinne der Theorie von der schrankenlosen
(sewalt des Oberpräsidenten deuten lassen.
In der Reichstagssitzung vom 20. Febr. 1874 hat Fürst
BisMArcK bei einem Streite, ob der Diktaturparagraph durch
das Postgesetz vom 28. Okt. 1871 eingeschränkt werde, die Be-
hauptung aufgestellt, dass $ 10 des Gesetzes vom 30. Dez. 1871
als Ausnahmegesetz auf alle Fälle dem Postgesetz vorgehe, selbst
wenn letzteres später in Elsass-Lothringen eingeführt wäre, ebenso
wie der Belagerungszustand allen Gesetzen, die der Handhabung
der öffentlichen Gewalt schädlich sein könnten, durchschlagend
derogire; in Elsass-Lothringen aber existire ein Theil der Be-
lagerungszustands-Einrichtung gesetzlich und dauernd *®.
In der Reichstagssitzung vom 30. Jan. 1895 hat der Staats-
sekretär VON PUTTKAMER erklärt, die von der Regierung auf
Grund des Diktaturparagraphen getroffenen Massregeln seien als
22 Reichstagsverhandlungen vom 31. Jan. 1895 (Sten. Ber. S. 618).
23 Reichstagsverhandlungen vom 31. Jan. 1895 (Sten. Ber. S. 635).
24 Reichstagsverhandlungen vom 20. Febr. 1874 (Sten. Ben. S. 160—161).