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Schranke ist durch die Bezugnahme in einem Reichsgesetze
gefallen, und es Jässt sich die Meinung, dass der Statthalter
auf Grund der Diktaturbefugnisse auch Reichsrecht
brechen kann, nunmehr um so gewisser vertheidigen, als
zweifellos sie von den Faktoren der Reichsgesetzgebung, welche
den Statthalter mit jenen Befugnissen bekleideten, getheilt worden
ist“ 28,
Endlich hat sogar ein deutsches Gericht die Theorie von
der schrankenlosen Gewalt des Oberpräsidenten durch seine Ent-
scheidung sanktionirt. Das Landgericht Strassburg hat einen
auf Grund des Diktaturparagraphen aus Elsass - Lothringen aus-
gewiesenen Reichsangehörigen wegen unerlaubter Rückkehr ge-
mäss & 361 Ziff. 2 des deutschen Strafgesetzbuchs verurtheilt.
In den Urtheilgründen ist ausgeführt: Aus & 2 des (Gesetzes
vom 4. Juli 1879 sei mit Bestimmtheit zu schliessen, dass die
Reichsverfassung in Elsass-Lothringen nur unter der Beschränkung
des & 10 Geltung finden sollte. Die Vollmacht des 8 10 sei
also durch die Reichsgesetzgebung niclt beschränkt
und die Gesetzlichkeit der fraglichen Ausweisung könne nicht
desshalb bestritten werden, weil sie mit einem Reichsgesetze in
Widerspruch stehe°®.
So gilt denn heute bei fast allen Juristen und Politikern in
Elsass-Lothringen als unbestrittenes und unbestreitbares Dogma
der Satz, der Statthalter könne, sobald er der Ansicht sei, dass
eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliege, nach freiem
Ermessen jede beliebige Handlung zur Abwehr der Gefahr vor-
nehmen, auch wenn diese Handlung mit den bestehenden Reichs-
und Landes-Gesetzen in Widerspruch stehe.
Es ist merkwürdig, dass dieses Dogma von der schranken-
38 Leonı: „Verfassungsrecht von Elsass-Lothringen*, S. 91. Freiburg
1892.
2° Urtheil des Landgerichts Strassburg vom 2. Dez. 1885, Juristische
Zeitschrift für Elsass-Lothringen, Bd. XI, S. 183 ff.