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kanzler untergeordneten Verwaltungsbeamten — eine weit grös-
sere Macht verliehen, als sie sein Vorgesetzter, der Reichs-
kanzler, und selbst der Kaiser in Elsass-Lothringen hatten. Be-
züglich des Kaisers bestimmt & 8 des Gesetzes vom 25. Juni 1873
ausdrücklich: „Auch nach Einführung der Verfassung und bis zu
anderweiter gesetzlicher Regelung kann der Kaiser unter Zustim-
mung des Bundesraths, während der Reichstag nicht versammelt
ist, Verordnungen mit gesetzlicher Kraft erlassen. Dieselben
dürfen nichts bestimmen, was der Verfassung oder den in
Elsass-Lothringen geltenden Reichsgesetzen zuwider ist
und sich nicht auf solche Angelegenheiten beziehen, in welchen
nach 8 3 Abs. 2 des die Vereinigung von Elsass-Lothringen mit
dem Deutschen Reiche betreffenden Gesetzes vom 9. Juni 1871
die Zustimmung des Reichstags erforderlich ist.“ — Die genannte
(Gresetzesbestimmung hätte ferner dem Oberpräsidenten eine grös-
sere Macht verliehen, als sie der Kaiser im Deutschen Reiche
besitzt, denn der Kaiser kann im Reiche zweifellos weder Rechts-
verordnungen noch Verwaltungsverfügungen erlassen, die mit den
bestehenden Reichsgesetzen in Widerspruch stehen?®. Die ge-
nannte Gresetzesbestimmung hätte dem Oberpräsidenten sogar eine
grössere Macht verliehen, als sie die Könige von Preussen im
preussischen Staate besitzen. Art. 63 der preussischen Verfas-
sung vom 31. Jan. 1850 schreibt ausdrücklich vor: „Nur in dem
Falle, wenn die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit oder
die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend
erfordert, können, insofern die Kammern nicht versammelt sind,
unter Verantwortlichkeit des gesammten Staatsministeriums Ver-
ordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit
Gesetzeskraft erlassen werden.“ — Die genannte Gesetzesbestim-
mung hätte endlich dem Oberpräsidenten eine grössere Macht
verliehen, als sie selbst die absoluten preussischen Könige Fried-
8° LaBanD: „Deutsches Staatsrecht“ (dritte Auflage), Bd. I 8. 567, 577.