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französische Gesetzgebung kennt keinen Oberpräsidenten. Die
Ausnahmsmassregel, die Handhabung des Belagerungszustandes
liegt in Frankreich in der Befugniss des Ministers des Innern und
bezw. der Präfekten. Nachdem nun das Oberpräsidium etablirt
war, regelt diese Vorschrift zunächst die Kompetenz zwischen
dem Oberpräsidenten einerseits und dem Reichskanzler als Minister
und den Präfekten andererseits. Sie sagt ganz einfach: die Sorge
für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit,
die nach der bisher geltenden (zesetzgebung dem Minister und
Präfekten obliegt, ist übertragen auf den Oberpräsidenten. Das
ist der erste Theil der Vorschrift — sehr unverfänglicher
Natur. Wenn weiter das (sesetz dahin geht, zu bestimmen,
dass der Oberpräsident befugt sein soll, zu thun, was er zur Ab-
wendung der Gefahr für erforderlich erachtet, insbesondere befugt
sein soll, die Gewalten auszuüben, welche im Fall des Belage-
rungszustandes die Militärbehörden haben, so ist nach meiner
Auffassung sehr klar damit ausgesprochen, dass dieser weitere
Theil des $ 10 die Befugnisse des Oberpräsidenten begrenzt und
dass desshalb, wenn die im ersten Satze stehende Generalklausel
anordnet: derselbe darf alle Massregeln treffen, die er für noth-
wendig erachtet, hiermit nur gesagt sein kann: insoweit diese
Massregeln innerhalb des Rahmens der Gesetze zulässig
sind. Ich glaube, der Oberpräsident von Eilsass-Lothringen
würde, wenn er auf Grund des $ 10 mit dem Strafgesetze in
Konflikt treten wollte, die Erfahrung machen, dass ihn dieser
Paragraph keineswegs über das gemeine Recht erhebt,
dass er vielmehr den allgemeinen Reichs- und Landes-
gesetzen unterliegt, wie jeder Andere“*!,
41 Reichstagsverhandlungen vom 38. März 1874 (Sten. Ber. S. 207). —
In der Reichstagssitzung vom 30. Jan. 1895 hat der Staatssekretär v. PUuTT-
KAMER diese Ansicht wieder aufgegeben und die Theorie der actes de gou-
vernement vertheidigt.