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dem Wortlaut der Instruktion von 1825 wie nach dem Wortlaut
des Gesetzes von 1871 ist der Öberpräsident ermächtigt, in
Fällen einer drohenden Gefahr nach seinem diskretionären Er-
messen Handlungen vorzunehmen, die unter normalen Verhält-
nissen — bei Abwesenheit einer Gefahr — zur Kompetenz der
höheren Instanzen, der „obersten Staatsbehörden“ gehören würden.
Gleichwohl ist es noch keinem preussischen Juristen eingefallen,
aus dem Wortlaut der Instruktion von 1825 zu folgern, die preus-
sischen ÖOberpräsidenten hätten ein schrankenloses Recht, sie
könnten sich nach Belieben über die bestehenden Reichs- und
Laandes-Gesetze hinwegsetzen. Es ist auch selbst dem radikalsten
Fortschrittsmanne noch niemals eingefallen, zu behaupten, die
preussischen Provinzen seufzten unter dem eisernen Joche des & 11
der Verordnung von 1825, über den preussischen Provinzen
schwebe das Damoklesschwert ihrer Oberpräsidenten*®, in Folge
der den preussischen Oberpräsidenten übertragenen ausserordent-
lichen Gewalten seien die Zustände in den preussischen Provinzen
mit Heloten-Zuständen“° und die Bewohner dieser Provinzen mit
Kettenhunden zu vergleichen, denen der Oberpräsident ihre Kette
bald lockere, bald schärfer anziehe °°.
Da nun die Institution des Oberpräsidenten eine spezifisch
preussische Einrichtung ist, welche in keinem anderen Staate der
Welt existirt, so ist der Schluss gerechtfertigt, dass & 10 des
Gesetzes vom 30. Dez. 1871 lediglich eine Kopie der Instruktion
47 Rede des Abgeordneten Sımonis in der Reichstagssitzung vom 17. März
1877 (Sten. Ber. S. 204).
# Vgl. Rede des Abgeordneten WINDTHORST in der Reichstagssitzung
vom 10. Dez. 1875 (Sten. Ber. 8. 529, 533) und viele Reichstagsreden els.-
lothr. Abgeordneten, in denen die Phrase von dem „Damoklesschwert“ mit
Vorliebe gebraucht wird.
# Rede des Abgeordneten WINTERER in der Reichstagssitzung vom
17. März 1877 (Sten. Ber. S. 224).
5 Rede des Abgeordneten Preiss in der Reichstagssitzung vom
31. Jan. 1895 (Sten. Ber. S. 623).
Archiv für Öffentliches Recht. XII. 4. 37