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1. Philipp Zorn, Reich und Reichsverfassung. Eine Antwort auf die
Frage: Ist die Reichsverfassung Gesetz oder Vertrag? Berlin, Hey-
menn, 1895. 8%. 268. M. —.60.
2. Laband, Die Wandlungen der deutschen Reichsverfassung
Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1895. 8°. 83888. M.1-—.
Beide Reden, die eine als Festrede zum 18. Januar 1894 jn der König-
lichen Deutschen Gesellschaft zu Königsberg i. Pr. vorgetragen, die andere ein
in der Gehe-Stiftung zu Dresden am 16. März 1895 gehaltener Vortrag, führen
einem weiteren Publikum Grundfragen des deutschen Reichsstaatsrechtes in
fesselnder Weise vor. Beschäftigt sich die erste mit der Verfassungsurkunde,
also mit der Verfassung im formalen Sinne, so handelt die andere von der
Verfassung im materiellen Sinne, vom Verfassungszustande und nicht blos
vom Verfassungsgesetz. Und erörtert die eine Rede Fragen der Entstehungs-
geschichte des Deutschen Reiches, so befasst sich die zweite mit Fragen der
Fortentwicklung desselben. Und endlich, der eine Vortrag behandelt ein
altes Thema in neuer Form, während in dem anderen neben alten auch neue
Fragen gedrängte Beantwortung erfahren. Aus diesem letzteren Grunde
wendet sich unser Interesse naturgemäss vor allem dem Lapannschen Vor-
trage zu. Was an ihm besonders neu ist, das ist die politische Erörterung
der FRANKENSTEmschen Klausel.
Drei grosse Veränderungen deg Verfassungszustandes seit der Gründung
des Reiches nimmt LaABanD an, eine der Verwaltungsorganisation, bestehend in
der Ausbildung einer völlig selbständigen Bundesverwaltung, und als Folge
davon die Einrichtung verantwortlicher Unterministerien unter dem Reichs-
kanzler; dann die Schaffung einer das ganze Reich umfassenden Gerichts-
gewalt und endlich eine tiefgreifende Aenderung der Finanzwirtschaft des
Reiches, eben durch die FrAnKEnsTEinsche Klausel.
Wie v. SEYDEL neuerdings (siehe Kommentar zur Verfassungsurkunde
für das Deutsche Reich 2. Aufl. 1897 S. 390 u. 391) ihre politische Bedey-
tungslosigkeit für das Budgetrecht des Reichstages, so erörtert LABAnD ihre
Unzweckmässigkeit, indem er darauf hinweist (S. 31), wie dieselbe die bisher
völlig getrennten Finanzwirtschaften von Reich und Staat in engste Verbin-
dung setzte und so die Einzelsteaten in finanzieller Hinsicht vom Reiche
ganz und gar abhängig machte, denn je nach dem Resultat der Reichsfinanz-
wirtschaft waren auf Grund derselben die Einzelstaaten bald mit dem Ueberr
strömen von Ueberweisungen, bald mit der Anforderung von Matrikularzu-
schüssen in Verlegenheit gesetzt.
Ausserdem legt Lapanp die mit der FRANKENSTEINschen Klausel ver;
folgten Zwecke klar. Ihr Zweck war, wie LaBanD ausführt, ein dreifacher.
Erstens sollte sie den föderalistischen Charakter des Reiches stärken: Die
Einnahmen des Reiches werden verteilt und die Reichskassa wird auf Sozie-
tätsbeiträge der Einzelstaaten angewiesen. Zweitens sollte die Klausel parti-
kularistische Interessen fördern: Soweit die stark vermehrten Einnahmen des