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bietet, ist der Umstand, dass jene Urtheile sich sämmtlich nicht
auf die grammatische Auslegung des Gesetzes beschränken zu
können glauben; überall nimmt man Erwägungen zu Hilfe über
die muthmaasslichen Absichten des Gesetzgebers oder über die
Folgerungen, die sich für die thatsächlichen Verhältnisse aus
dieser oder jener Auslegung ergeben würden.
Es sei vorausgeschickt, dass in keinem der Urtheile die Ent-
scheidung auf die von REHM eingehend begründete Auffassung?
gestützt wird, nach welcher die Arbeitsordnung ihrer rechtlichen
Natur nach ein „Gesetz im materiellen Sinne des Worts“ ist.
Allerdings ergeben sich aus den gesetzlichen Bestimmungen ein-
zelne Folgerungen, die sich für die Renm’sche Auffassung ver-
werthen lassen. Diese Folgerungen aber stehen einerseits mit
den ausgesprochenen Absichten des Gesetzgebers in Widerspruch
Die Arbeitsordnung muss den Zeitpunkt, mit welchem sie in Wirk-
samkeit treten soll, angeben...
Abänderungen ihres Inhalts können nur durch den Erlass von Nach-
trägen oder in der Weise erfolgen, dass an Stelle der bestehenden eine
neue Arbeitsordnung erlassen wird.
Die Arbeitsordnungen und Nachträge treten frühestens zwei Wochen
nach ihrem Erlass in Geltung. '
8 134°, Der Inhalt der Arbeitsordnung ist... für die Arbeitgeber
und Arbeiter rechtsverbindlich.
Andere als die in der Arbeitsordnung oder in den $$ 123 und 124 vor-
gesehenen Gründe der Entlassung und des Austritts aus der Arbeit dürfen
im Arbeitsvertrage nicht vereinbart werden. Andere als die in der Arbeits-
ordnung vorgesehenen Strafen dürfen über den Arbeiter nicht verhängt werden.
S 134%. Vor dem Erlass der Arbeitsordnung ... ist den in der
Fabrik ... beschäftigten grossjährigen Arbeitern Gelegenheit zu geben, sich
über den Inhalt zu äussern.
8 134°. Die Arbeitsordnung ... ist unter Mittheilung der seitens
der Arbeiter geäusserten Bedenken ... binnen drei Tagen nach Erlass...
der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen.
Die Arbeitsordnung ist an geeigneter, allen betheiligten Arbeitern zu-
gänglicher Stelle auszuhängen. Der Aushang muss stets in lesbarem Zustand
erhalten werden. Die Arbeitsordnung ist jedem Arbeiter bei seinem Ein-
tritt in die Beschäftigung zu behändigen.
3 Hırrm's Annalen des deutschen Reichs. Jahrgang 1894, S. 132 ff.