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— „eine Vermutung streitet weder für die beschränkte noch für
die umfassendere Bedeutung“. Unser „keineswegs quellenmässiger“
Satz enthält daher nur „halbe Wahrheit“. Ich glaube aber, dass
dieser Widerspruch des verehrten Forschers doch wohl nur auf einer
nicht ganz zutreffenden Auffassung des Sinnes beruht, den wenig-
stens die massgebendsten ihrer Vertreter unserer Regel von jeher
beigelegt haben, wie er denn auch TmızAuT’s Verteidigung derselben
ausdrücklich gutheisst und lobt. Hätte man den Satz von der
lex posterior generalis als unumstössliches, keine Ausnahmen zu-
lassendes Axiom gefasst, dann wäre REGELSBERGER’s Polemik
ohne weiteres durchschlagend. Man vergleiche damit nun aber,
was beispielsweise WINDSCHEID über ihn sagt (a. a. O.): Die
Interpretationsfrage, ob der neue Rechtssatz auch die Aus-
nahmen von der alten Regel habe beseitigen wollen, ist im
Zweifel zu verneinen. „Anders aber, wenn etwa das neue
(Gesetz ausdrücklich erklärt hätte, dass es in allen Fällen gelten
wolle, oder wenn es die Ausnahmen, die es zulassen will, auf-
gezählt hätte, oder wenn sich aus anderen Umständen nachweisen
liesse, dass der Gesetzgeber seine neue Regel als absolute habe
betrachtet wissen wollen“ (No. 4). Und ähnlich drücken sich, so-
weit ich sehe, fast alle anderen Vertreter unseres Satzes aus, die
ihn überhaupt einer näheren Erörterung unterziehen. Sie meinen
mit ihm also nur, dass die Aenderung der alten lex generalis
nicht als solche die lex specialis berühren, nicht aber, dass
nicht aus besonderen dabei mitspielenden Gesichtspunkten eine
solche Einwirkung begründet sein könne.
Insoweit aber scheint mir unser Satz in der That keine halbe,
sondern durchaus ganze Wahrheit zu enthalten. Denn das ist
und bleibt zutreffend: wenn der neue Gesetzgeber die alte Regel
fortan missbilligt und ihr entgegentritt, so ist er im Zweifel
durch nichts veranlasst, auch die bereits zu ihr anerkannten
Gegensätze zu missbilligen; „ein Feind des A. ist im Zweifel kein
Feind von A.’s Gegnern“.