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völlige Klarheit über das „Schneiden des vorliegenden Messers“ erst dann
möglich sein, wenn die von dem Verfasser versprochene „Allgemeine Staats-
lehre“ vorliegen wird. Wichtige Untersuchungen, die auf dem Grenzgebiete
stehen, sind ausdrücklich dieser vorbehalten (S. 255).
Einstweilen ist der Referent nicht ohne Bedenken, ob die beschlossene
Scheidung für die geschichtliche Darstellung empfehlenswerth ist, ob es
wirklich „die oberste Aufgabe einer geschichtlichen Darstellung der Staats-
rechtswissenschaft ist, der Selbständigkeit, deren sich die Staatsrechtswissen-
schaft in Deutschland heute in dogmatischer Beziehung erfreut, auch in ihrer
historischen Behandlung Ausdruck zu geben“, Wo bis in die Neuzeit hinein
Alles ungeschieden bei einander lag, da haben die Versuche eine uns ge-
läufige Trennung ex post in die Vergangenheit hineinzutragen, leicht etwas
Willkürliches. Und so durchzieht denn auch das ganze Buch das Bemühen,
eine Abgrenzung da zu schaffen, wo dem unbefangenen Auge die Voraus-
setzungen einer solchen kaum gegeben erscheinen.
Stellt man sich jedoch auf den prinzipiellen Boden, den der Verfasser
sich, wie es sein Recht ist, wählt, so kann man der Gesammtleistung frohe
Anerkennung nicht versagen. Im ersten Buche werden uns die Anfänge des
griechischen staatswissenschaftlichen Denkens und der Höhepunkt, den es
in der antiken Welt erreichte, vorgeführt. Die Darstellung von der Zeit des
Sokrates und der Sophisten bis auf Aristoteles und seine Schule nimmt
reichlich die Hälfte des Buches in Anspruch. Platon und Aristoteles stehen,
wie billig, im Vordergrunde der Darstellung, die hier durchaus auf selbstän-
diger Forschung beruht und insbesondere, was die vielumstrittene Staats-
formenlehre des Aristoteles angeht, zu ebenso originellen wie einleuchtenden
Resultaten kommt. Diese Darstellung der griechischen Staatslehre ist un-
zweifelhaft die gelungenste Partie des Buches. Ja, man möchte vielleicht
ein Missverhältniss störend empfinden, zwischen den eindringenden Unter-
suchungen hier, die den Charakter einer Monographie tragen und der mehr
kursorischen Behandlung der späteren Zeit: Aus dem in Hellas mächtig
strömenden Flusse wird, je mehr wir uns unserem Jahrhundert nähern, ein
bescheidenes Bächlein. Dennoch wäre es höchst ungerecht, wenn wir nicht
anerkennen wollten, dass, namentlich was das Mittelalter angeht, sowie die
Zeit des Naturrechts im engeren Sinne, die Gesammtentwicklung in über-
sichtlicher und selbständiger Weise vor Augen geführt wird. Insbesondere
empfindet hier, wie in dem ganzen Buche, der Leser das Bemühen angenehm,
die modernen Staatsrechtsbegriffe, die ja schliesslich doch ein langsam gereiftes
Produkt dieser Vorarbeiten älterer Perioden sind, in den ersten Stadien
ihrer Entstehung aufzusuchen und scharf hervorzuheben, selbst da, wo sie
mehr instinktiv als mit bewusster Absicht von den staatswissenschaftlichen
Schriftstellern sich angewendet finden. Endlich möge die ausserordentliche
Belesenheit des Verfassers in der einschlägigen Litteratur, die auch in einer
grossen Fülle von Litteraturangaben zum Ausdruck kommt, ausdrücklich