Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

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dank der allgemeinen Volksschule und den Zeitungen ist die Bildung auch 
bei den niederen Klassen gestiegen, während sie bei den höheren Schichten 
sich eher vermindert hat. Daraus aber ergiebt sich bei den Arbeitern eine 
sehr grosse, zum Theil nicht unberechtigte Unzufriedenheit mit ihrer äusseren 
Lage. So ist zu befürchten, dass schliesslich, wenn die Massen nichts mehr 
zu verlieren haben, ein furchtbarer Aufstand ausbricht, der, auch wenn er 
unterdrückt wird, doch die schwersten Folgen für die Wohlfahrt des Volkes 
haben muss. Will man einer solchen Revolution entgehen, so muss eine 
allgemeine Reform eintreten, und zwar eine soziale, aber nicht eine demo- 
kratische. Diese Reform sieht v. Massow vor allem in der Ausdehnung der 
Macht des Staates. So ist die Volksschule zu verstaatlichen und eine obli- 
gatorische Fortbildungsschule an sie anzuschliessen, der Staat muss die 
jungen Leute von ihrem Austritt aus der Schule bis zum Eintritt in’s Heer 
durch geeignete Organe überwachen, Der Schutz der Schwachen muss 
weiter ausgedehnt werden; deshalb ist das Armenwesen zu centralisiren und 
vom Staat zu leiten, für entlassene Sträflinge und Vagabunden muss eine 
staatlich geordnete „Schutzpflege“ eintreten. Dem Staat liegt ferner die 
Regelung und Vertheilung der Arbeitsverhältnisse ob, auch für angemessenen 
Lohn und gesunde Wohnungen haben staatliche Arbeitsämter zu sorgen. 
Viele von diesen Forderungen sind auch die der Sozialdemokratie, 
doch will v. Massow nicht die direkte Verstaatlichung der grossen Betriebe. 
Indes ist nicht recht einzusehen, wodurch sich bei so weitgehender staatlicher 
Einmischung die Grossindustriellen noch viel von staatlichen Beamten unter- 
scheiden, besonders da v. Massow auch die Möglichkeit eigenen grossen 
Gewinns, der jetzt gegenüber der Besoldung der Beamten oft unverhältniss- 
mässig gross ist, beschränken will. Denn einmal muss der Unternehmergewinn 
durch den staatlichen Zwang, die Lebenshaltung der Arbeiter auf einer ge- 
wissen Höhe zu halten, beträchtlich sinken, dann aber sollen auch durch 
progressive Einkommensteuer die höheren Einkommen viel stärker, als es 
jetzt der Fall ist, herangezogen werden. Auch die Kapitalsrente soll durch 
hohe Erbschaftssteuern und allmähliche von selbst eintretende Amortisation 
aller verliehenen Kapitalien vermindert werden. 
Zwar sagt der Verfasser einmal, „Gesetze allein können es nicht 
machen“, und erwartet Manches von persönlicher Betheiligung der Gebildeten 
am Volksleben und von gesteigerter Religiosität, im Ganzen aber ist seine 
Meinung doch, dass der Staat eine soziale Reform auf gesetzlichem Wege 
durchzuführen in der Lage ist. Die Voraussetzung ist dabei, dass es recht- 
lich keine Schranken für den souveränen Staat giebt, da auch das Eigen- 
thum nur durch den Staat entsteht. Aber nicht nur das Recht, sondern 
auch die Befähigung hat nach v. Massow der Staat, in der oben skizzirten 
Weise sein Machtbereich auszudehnen, allerdings nur unter der Voraus- 
setzung, dass die Staatsverwaltung umgestaltet wird. Einmal nämlich muss 
das Personal aller Behörden, nicht nur das der Verwaltung im engeren
	        
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