— 154 —
Diese Grundidee ist trotz aller Vorbehalte und Einwendungen, die man
geltend machen kann und muss, eine überaus fruchtbare und anregende; und
zwar nicht minder für den Nationalökonomen wie. für den Juristen, und
hier nicht minder für den Publizisten wie für den Civilisten. Denn es
handelt sich gerade um jenes an interessanten Ausblicken so reiche Grenz-
gebiet zwischen dem Individual- und dem Sozialrecht, ein Gebiet, das der
Berufene nie ohne Ertrag durchforscht.
Dr. H. Preuss.
Wach, Dr. Adolf, Die Mündlichkeit im österreichischen Civil-
prozessentwurf. Wien, Manz, 1895. IIIlu.65 S. M. 1.80.
Angesichts der unmittelbar bevorstehenden praktischen Durchführung
der Reform des Civilprozesses in Oesterreich — welche Reform mit Anfang
des Jahres 1898 in Wirksamkeit tritt — gewinnt die vorstehend bezeichnete
Schrift WacH’s neuerlich an aktueller Bedeutung. Denn in der ganzen
Litteratur, welche sich mit dem reformirten Civilprozesse in Oesterreich: be-
schäftigt, ist kaum eine zweite Erscheinung zu finden, welche — wie WacH’s
Schrift — in so engem Raum, in so klarer, lichtvoller Art und von so hoher
Zinne aus die Grundzüge des neuen österreichischen Civilverfahrens, die
charakteristischen Merkmale desselben, seine Vorzüge und Mängel im Ver-
gleiche zu dem im Deutschen Reiche geltenden Civilprozesse vor Augen
führt. Viel mag zu ‘diesen Vorzügen der Schrift Waca’s der Umstand
beigetragen haben, dass dieselbe einem Vortrage entstammt, welchen dieser
Meister der Rede am 2. Januar 1885 in der juristischen Gesellschaft in Wien
gehalten hat.
In fünf Abschnitten bespricht Wach die Hauptpunkte des neuen öster-
reichischen Prozesses vom Standpunkte der Mündlichkeit als „der Regel
des Verkehres zwischen Richter und Parteien“, als „der Form, in welcher
der erkennende Richter den Urtheilsstoff empfängt und festhält“, — aber
auch vom Standpunkte der Praktikabilität, welche verlangt, dass die
Rechtspflegeform bestmöglichst der Gerechtigkeit diene — ohne unverhältniss-
mässige Opfer an Kraft und Zeit. Der erste Abschnitt (S. 4—7) charak-
terisirt die Mündlichkeit, insoweit dieselbe im Allgemeinen im neuen öster-
reichischen Prozesse verkörpert ist, — warnt aber zugleich vor allzu doktri-
närer Durchführung des Mündlichkeitsprinzipes, welche vergisst, dass die Kunst
des Schreibens einen Fortschritt des menschlichen Geistes bedeutet. Aller-
dings besorgt Wach, dass der neue Österreichische Prozess in seiner Scheu
vor den Gefahren übertriebener Mündlichkeit allzu weit geht. Er meint
damit insbesondere das ausgedehnte vorbereitende Verfahren und die nach
seiner Ansioht zu weit gehende inhaltliche Protokollirung des Verhandlungs-
btoffes. — Der. zweite Abschnitt (S. 8—21) handelt über die „Ordnungs-