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allen Umständen und nur wegen des der Uebung als solcher zu-
kommenden Werthes (ohne Rücksicht auf den Inhalt der Uebung)
zu schützen, sondern nur dahin, ihre Geltung für den Fall an-
zubefehlen, dass sie sich wirklich unter Berücksichtigung aller in
Betracht kommender Verhältnisse als werthvoll erweisen.
Sehen wir aber das subjektive Urtheil der Angehörigen eines
rechtbildenden Kreises als entscheidend an, so erweist sich die
Theorie von RÜMELIN in noch höherem Grade als unzureichend.
Woher nimmt der Einzelne oder eine noch so grosse Mehrheit
von Einzelnen die Befugniss, ihre Meinung Anderen aufzudrängen
und die Befolgung der dem eigenen Werthurtheil entsprechenden
Satzungen von Denjenigen zu verlangen, die eine andere Schätzung
für zutrefiender halten? Hier stehen sich einfach zwei persön-
liche Ansichten gegenüber, von denen jeder, für sich genommen,
gleiche Bedeutung zukommt. Ein Uebergewicht kann eine von
ihnen erst gewinnen, wenn sie durch eine neue Kraft verstärkt
wird, und zwar darf letztere, wie wir gesehen haben, nicht in der
objektivien Wahrheit der einen oder anderen Meinung gesucht
werden.
Diese Bedenken verlieren auch nicht dadurch an Bedeutung,
dass RÜMELIN unter dem Werth des Gewohnheitsrechts nicht
nur seine Schätzung nach dem Massstabe sittlicher Anschauungen
versteht, sondern auch die verschiedenartigsten anderen Umstände
berücksichtigt, die bald nur in Bezug auf das Gewohnheitsrecht
im Ganzen, bald nur in Bezug auf die einzelnen gewohnheits-
rechtlichen Sätze vorliegen. Die verschiedenen Gesichtspunkte,
die hiernach in Betracht kommen, können aber leicht mit einander
in Widerspruch stehen. Welchem von ihnen RÜMELIN grund-
sätzlich die ausschlaggebende Bedeutung beimessen will, sagt er
nicht ausdrücklich, anscheinend sollen die massgebenden Eigen-
schaften nach beiden Richtungen hin vorhanden sein. Damit
wird aber dem subjektiven Ermessen wieder ein weiter Spielraum
eingeräumt. Bei den heutigen Kulturzuständen legt er allerdings