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sollte man meinen, dass, wenn die Entstehung der Rechtssätze
auf eine Willensbethätigung zurückgeführt werden muss, es auch
zu ihrer fortdauernden Geltung einer solchen bedürfe, da Rechts-
normen keine der realen Welt angehörige Dinge sind, die die
Gewähr ihres Weiterbestehens in sich selbst tragen. Diese Er-
scheinung ist geschichtlich wohl auf das System der Personalität
des Rechts zurükzuführen und auf politische Erwägungen, indem
man den Unterworfenen eine gewisse Selbständigkeit belassen und
zugleich sie nicht an den Vortheilen der Staatsangehörigkeit des
Siegers Theil nehmen lassen wollte!*. Heutzutage dagegen steht
sie gerade umgekehrt mit der Territorialität des Rechts in Zu-
sammenhang. Der Staat ist uns nicht eine blosse Genossenschaft,
wonach er mit jedem Verein auf derselben Stufe stehen würde,
sondern er übt zugleich eine ausschliessliche Herrschaft über ein
bestimmtes Gebiet aus. In ganz ähnlicher Weise bringen wir
auch die Rechtsordnung in eine räumliche Beziehung zu einem
bestimmten Lande!® und schreiben ihr hier eine Geltung zu, die
durch Veränderung der politischen Verhältnisse und namentlich
der Zugehörigkeit des Landes zu dem einen oder dem anderen
Staate nicht berührt wird. Selbstverständlich gilt dies aber nicht
unbedingt; verfassungsrechtliche und überhaupt staatsrechtliche
Normen verlieren in weitem Umfange durch derartige Ereignisse
ihre bisherige Bedeutung, aufrechterhalten werden also eigentlich
nur das Privatrecht, das Strafrecht und die Vorschriften über das
Gerichtsverfahren. ‚Seine volle Aufklärung wird die Erscheinung üb-
rigens erst durch den weiteren Verlaufunserer Erörterungen erfahren.
Von Geltung eines Rechtssatzes kann aber noch in einem
14 In den Kolonien führen die besonderen Verhältnisse noch jetzt zu
einer Personalität des Rechtes.
15 Dass daneben auch das Personalitätsprinzip in unserem Sinne, d. h.
die Gebundenheit des Inländers an das inländische Recht, auch wenn er
sich im Auslande befindet, in weitem Umfange massgebend ist, steht den
hier in Betracht kommenden Folgerungen aus dem Territorialitätsprinzip
nicht entgegen.