— 193 —
ganz anderen Sinne die Rede sein. ‘Wenn wir sagen, dass das
Bürgerliche Gesetzbuch mit dem 1. Januar 1900 in Geltung
trete, so meinen wir natürlich nicht, dass sofort mit diesem Tage
sich alle seine 2385 Paragraphen in konkreten Thatbeständen
verkörpern werden, vielmehr beginnt nur mit jenem Zeitpunkte
seine thatsächliche Herrschaft (Geltung in dem vorhin bespro-
chenen Sinne) sich zu verwirklichen, um dann nach einer längeren
oder kürzeren Frist zur Vollendung zu kommen. Umgekehrt ist
der Inhalt des Gesetzbuches schon jetzt feststehend und hieran
wird sich mit jenem Tage nichts ändern. Was mit ihm eintreten
wird und zwar sofort in vollem Umfange, ist die Pflicht, den
Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches zu gehorchen; es
wird von da an die Anforderung an unseren Willen gestellt, unsere
rechtlichen Beziehungen zu einander nach ihnen zu gestalten.
Diese Vorschrift lässt sich, wie schon berührt ist, auf Rechts-
sätze höherer Ordnung zurückführen, in unserem Falle auf die Be-
stimmungen der Reichsverfassung über das Zustandekommen der
Reichsgesetze und den in ihnen enthaltenen stillschweigenden
Befehl, solchen Reichsgesetzen zu gehorchen. Fragen wir nun
aber weiter, worauf die Verbindlichkeit der Reichsverfassung
beruht, so hängt die endgültige Antwort hierauf, wie ZITEL-
MANN zutreffend ausgeführt hat, von metaphysischen Spekulationen
ab, deren Ergebnisse nie auf allgemeine Anerkennung rechnen
können und die überhaupt über das Arbeitsfeld der Rechtswissen-
schaft hinausgehen. Man darf aber andererseits mit ihm und
RÜMELIN annehmen, dass es für uns Juristen nicht nothwendig
ist, bis auf die letzten Ursachen zurückzugehen. Wir dürfen
vielmehr schon solche Anschauungen zum Ausgangspunkte nehmen,
die allgemein oder wenigstens von einer solchen Anzahl von
Menschen als richtig anerkannt werden, dass ihre thatsächliche
Anwendung gesichert ist. Unsere Auffassung von der Geltung des
Gewohnheitsrechts kann freilich unter diesen Umständen nur einen
bedingten Werth beanspruchen, sie ist nur zutreffend unter der
Archiv für öffentliches Recht. XIH. 2. 13