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Voraussetzung, dass die Anschauungen, die wir zu Grunde legen,
der objektiren Wahrheit entsprechen. Wer letzteres also nicht
zugibt, braucht auch die Folgerungen, die wir aus ihnen ziehen,
nicht anzunehmen. Aber die eben gemachte Andeutung über
unseren Ausgangspunkt lässt schon erkennen, dass durch solchen
Widerspruch nicht auch die praktische Verwendbarkeit unserer
Lehre unbedingt beseitigt wird. Es darf uns genügen, wenn wir
ein Ergebniss erhalten, das der Mehrzahl der Angehörigen eines
Rechtskreises als ausreichend erscheint.
Allgemeines Einverständniss herrscht nun wohl darüber, dass
es das Ziel jeder rechtlichen Ordnung ist, der Willkür der Ein-
zelnen im Interesse der Gesammtheit Schranken zu setzen und
ein friedliches Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen !*.
Und dementsprechend bezeichnet man als objektives Recht Nor-
men, die für einen ganzen Kreis von Personen oder Sachen
oder Verhältnissen gleichmässig zur Anwendung kommen sollen.
Ob es ausserdem noch Rechtssätze gibt, die ihre Geltung
nicht so weit erstrecken, kann hier dahingestellt bleiben, ebenso
der Unterschied zwischen Gesetzen im materiellen und im for-
mellen Sinne. Denn für das Gewohnheitsrecht kommen wesentlich
nur die Vorschriften allgemeiner Art in Betracht. Die Untersuchung,
inwieweit die für ihre Entstehung aus einer Uebung geltenden
Lehren auf die andere Gattung der Rechtssätze Anwendung finden
können, darf vorläufig verschoben werden; im nächsten Abschnitte
werde ich sie gelegentlich berühren. Allgemeine Geltung bean-
spruchende Rechtssätze müssen aber geeignet sein, eine gleich-
mässige Regelung der Lebensverhältnisse zu verbürgen. Von
einer Vorschrift, der wir gehorchen sollen, setzen wir im All-
gemeinen auch voraus, dass sie vernünftig sei. Eben desshalb
aber muss sie auch in allen Fällen Anwendung finden; es wäre
unverständig, die Beziehungen des A zu B anders zu gestalten,
1° Dabei kann die Frage offen bleiben, ob auch das subjektive Recht
als ein Wollendürfen aufzufassen ist.