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gegeben werden. Die Ausübung von Zwang ist jedoch nur unter
der Voraussetzung guten Glaubens gerechtfertigt, der durch dieses
Mittel durchgeführte Grundsatz muss von seinem Urheber als ein
Ausfluss der Idee der Gerechtigkeit oder als durch Zweckmässig-
keitsgründe geboten angesehen werden. Nur wenn dies der Fall
ist, darf er zu seinen Gunsten geltend machen, dass die Vernunft
die Bildung von Lebensgemeinschaften unter den Menschen for-
dert, und dass er selbst mit Rücksicht auf die Nothwendigkeit
der Herrschaft einheitlicher Rechtsgedanken in ihnen nach den
Gesetzen der Vernunft befugt sei, die von ihm für richtig
gehaltene Auffassung der Ordnung seiner Beziehungen zu anderen
Menschen zu Grunde zu legen. Dies gilt auch für den Staat.
Steht er auf dem Standpunkte, dass er nach den eben entwickelten
Gesichtspunkten seine Gewalt zur Aufrechterhaltung seiner Rechts-
ordnung verwenden dürfe, so ist es gerechtfertigt, wenn er dieser
Anschauung auch Widerstrebenden und sie nicht Anerkennenden
gegenüber in seiner Handlungsweise Ausdruck gibt '”.
7 Wir müssen hier mit ein paar Worten darauf eingehen, in welchem
Sinne Macht zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung verwendet werden
kann. Durch Anwendung von Zwang ist allerdings die Befolgung der Rechts-
normen nie so zu sichern, dass ein widersprechendes Verhalten einfach un-
möglich gemacht würde. Ist aber den Geboten der Rechtsordnung zuwider
gehandelt, so kann zwar dieses Unrecht nicht hinterdrein völlig wieder auf-
gehoben werden, weil sich Geschehenes nicht ungeschehen machen lässt. Allein
vielfach lässt sich für die Zukunft der dem Recht entsprechende Zustand
herstellen und auch darüber hinaus annähernd derselbe Erfolg erreichen, als
wenn die Rechtsordnung von vorne herein Gehorsam gefunden hätte. Auch
für das Gebiet des Strafrechts gilt dies rücksichtlich der Normen im
Bmopine’schen Sinne, falls man die Strafe auf den Gedanken ausgleichender
Gerechtigkeit zurückführt; legt man ihr den Zweck „ne peccetur“ zu Grunde,
so werden immerhin Zwangsmittel nach der Richtung hin angewendet, dass
der Staat den Gehorsam gegenüber seinen Geboten und Verboten für die
Zukunft sichern will, also doch Zwang zur Aufrechterhaltung der Rechts-
ordnung im Ganzen. Schliesslich gibt es freilich auch Rechtssätze, bei
denen eine gewaltsame Durchführung nicht möglich ist. Denn zum Wesen
der Rechtssätze gehört ihre Erzwingbarkeit nicht. Ob sich insoweit ein
Gewohnheitsrecht zu bilden vermag, kann dahingestellt bleiben; ganz aus-