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vertheidigten Weise zurückzuführen. Er ordnet nicht an, dass
die auf Gewohnheit beruhenden Rechtssätze beachtet werden
sollen in demselben Sinne, wie er durch seine Gesetze für andere
Verhältnisse Vorschriften aufstellt, sondern er befiehlt nur seinen
Richtern, jene Sätze anzuwenden. An diesen Unterschied in der
Auffassung dürften sich auch praktische Folgen knüpfen. Will
der Staat dem (zewohnheitsrechte durch einen von ihm auf-
gestellten Grundsatz verbindliche Kraft für die Unterthanen bei-
legen, so muss er, wie im ersten Abschnitte ausgeführt ist, auch
die näheren Bedingungen hierfür, die Erfordernisse des Gewohn-
heitsrechts, feststellen. Erhebt er einen einzelnen Rechtsgedanken
zum Rechtssatze, so hat er eben von ihm eine bestimmte Vor-
stellung. Fehlt es dagegen an ihr und zugleich an der Vor-
stellung von Merkmalen, nach denen sich die einzelnen unter den
allgemeinen Befehl fallenden Sätze bestimmen könnten, so ist auch
der Wille, dass mit diesem schwankenden etwas eine Veränderung
vor sich gehen solle, die es als Erzeugniss des Staates erscheinen
lässt, zu inhaltslos. Beabsichtigt er dagegen, für die Aufrechterhal-
tung der ohne seine Betheiligung zu Stande gekommenen gewohn-
heitsrechtlichen Normen seine Machtmittel zur Verfügung zu
stellen, so kann er als den Gegenstand seiner Anordnung „das Ge-
wohnheitsrecht“ im Allgemeinen bezeichnen und es dem Richter
überlassen, jene Erfordernisse aus einer anderen Quelle abzuleiten.
Es legt dann ein ähnliches Verhältniss vor, wie wenn der Staat
die Anwendung ausländischen Rechts im Inlande durch die Sätze
des sogenannten internationalen Privatrechts vorschreibt. Wie
dieses Recht zu Stande kommt, bestimmt sich ausschliesslich nach
den staatsrechtlichen Vorschriften des fremden Gemeinwesens!®.
18 Bei dieser Auffassung ist die Frage, ob es ein gemeines deutsches Ge-
wohnheitsrecht gebe, dahin zu beantworten, dass sich ein solches allerdings als
einheitliche Norm (im Gegensatz zu einer Mehrheit inhaltlich übereinstimmen-
der Normen) bilden kann, dass aber seine Anwendung in den Gerichten der
verschiedenen Länder auf Befehlen der verschiedenen Staatsgewalten beruht.