Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

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kommende Möglichkeit ist wohl die Ableitung seiner Verbindlich- 
keit aus einer Einwilligung des Gesetzgebers. Erwägungen, die 
dieser Annahme entgegenstehen, sind schon in den bisherigen Er- 
örterungen an verschiedenen Stellen angeführt worden. Hier soll 
nur noch darauf hingewiesen werden, dass die sogenannte Gestat- 
tungstheorie auch in der von Bınpıng (Handbuch des Strafrechts I 
S. 210—211) vertretenen Gestalt der Thatsache des Vorkommens 
derogatorischer Gewohnheiten nicht gerecht zu werden vermag, 
namentlich wenn durch sie ein anderer Rechtssatz an die Stelle 
des bisher geltenden gesetzt wird. Denn in ihnen muss man vom 
gegnerischen Standpunkte aus ein fortgesetztes Unrecht erblicken, 
da der auf Befolgung seines Gebotes gerichtete Wille des Gesetz- 
gebers nicht als aufgehoben angenommen werden kann. BıinDIng, 
der die Verbindlichkeit des Gewohnheitsrechts aus einer für den 
einzelnen Rechtssatz erfolgenden Einwilligung des Gesetzgebers 
ableitet, sucht allerdings das Gegentheil, in besonderer Beziehung 
auf den Satz: nulla poena sine lege (St.-G.-B. 8 2), in folgender 
Weise glaubhaft zu machen. Wenn offenbar werde, dass der 
Gesetzgeber dringende Bedürfnisse zur Pönalisirung neuer That- 
bestände nicht aus Absicht, wohl aber aus Unfähigkeit oder 
Lethargie zu befriedigen anstehe, so werde die Praxis jenen Grund- 
satz als vom Gesetzgeber verlassen betrachten und nach dessen 
präsumtiven Willen neue Thatbestände mit Strafe belegen. Wieder 
könne sich dann die Uebung bilden, und der Gesetzgeber billige 
sie, indem er sie gewähren lasse. Allein eine stillschweigende 
Billigung kann, wie auch Biınpine (S. 202—203) anerkennt, nur 
angenommen werden, wenn dem (Zesetzgeber die Uebung bekannt 
ist; wie soll diese Kenntniss aber bewiesen werden? Ist der Gesetz- 
ohne dass daraus ein Einwand gegen die hier versuchte Begründung der 
verbindlichen Kraft der Rechtssätze im Allgemeinen und der Uebung ins- 
besondere zu entnehmen wäre. Dass auch durch die Ausführungen des 
Textes nicht die imperativische Natur der Rechtssätze geleugnet werden soll, 
braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden.
	        
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