Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

— 207 0 — 
geber ein einzelner Mensch, wie in der absoluten Monarchie, so 
erfährt er von der Rechtsprechung vermuthlich recht wenig, und 
eine durch seine Befragung versuchte Feststellung wird meistens 
zu einem verneinenden Ergebnisse führen?. Ist er an die Zu- 
stimmung einer politischen Körperschaft gebunden, so kann man 
eher annehmen, dass deren Mitglieder in ihrer Eigenschaft als 
Staatsbürger Gelegenheit haben, sich mit der Handhabung der 
Gesetze durch die Gerichte vertraut zu machen. Aber eine 
Nachforschung darnach, in welchem Umfange dies wirklich der 
Fall ist, stösst auf die grössten Schwierigkeiten. Grenügt es für 
das Reichsrecht, wenn die Mehrzahl der Mitglieder des Bundes- 
rathes und des Reichstages Kunde von dieser Rechtsprechung 
hat? Kann man überhaupt ohne Weiteres voraussetzen, dass sie 
etwas von dem $ 2 des St.-G.-B. wissen? Und die Einzelnen, 
deren Bekanntschaft mit der Praxis entscheiden soll, müssen doch 
die Anwendung des neuen Rechtssatzes als Uebung erkannt 
haben; wie sollen wir nun entscheiden, wenn der Gerichtsgebrauch 
sich, wie es unvermeidlich ist, auf eine längere Zeit erstreckt 
hat, als das Mandat eines Reichstages dauert? 
Geht ferner die verpflichtende Kraft des Gesetzes allein aus 
dem Willen seines Erzeugers hervor, so dauert sie auch nur so- 
lange, als der letztere vorhanden ist und die Herrschaft über 
das betreffende Rechtsgebiet und dessen Bewohner ausübt. Daraus 
würde sich ergeben, dass bei allen Veränderungen der Staats- 
grenzen ein Wechsel des geltenden Rechts eintreten oder der 
neue Herrscher den Entschluss fassen müsste, die bisherige Ord- 
nung bei Bestand zu lassen. Die erste Annahme steht mit einem 
Jahrhunderte alten Herkommen in Widerspruch. Die letztere 
ist abzulehnen, weil nach ebenso feststehender Uebung eine ent- 
22 Binpixe scheint auch nach heutigem Staatsrechte den Gesetzgeber 
mit dem Monarchen zu identifiziren, da er meint, jener könne durch fort- 
gesetzte völlige Begnadigung seinen Willen, es solle ein bestimmtes Straf- 
gesetz fürderhin keine Anwendung mehr finden, kundgeben.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.