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sind, werden auch die Gegner kaum bestreiten. Weiter würde
doch auch einer Anordnung des (Gresetzgebers nichts entgegen-
stehen, dass Rechtssätze,. die thatsächlich angewendet werden,
verbindlich sein sollen, auch wenn nicht alle begrifflich noth-
wendigen Bedingungen eines Gewohnheitsrechts gegeben sind.
So gut wie der Richter auf das, was im Verkehr üblich ist, hin-
gewiesen werden darf?®, so gut kann auch in anderer Beziehung
die Ueblichkeit für ıhn bindend gemacht werden. Wir haben
dann eine eigenthümliche Art Blankettgesetz vor uns, das unter
Umständen ebenso zweckmässig sein kann, wie die verpflichtende
Kraft der Gutachten der römischen „patentirten® Juristen oder
der Urtheile höchster Gerichtshöfe.. Auch als Uebertragung der
gesetzgebenden Gewalt in beschränktem Umfange liesse sich
diese Anordnung auffassen. Thatsächlich vorkommen dürften
derartige Vorschriften freilich ebenso selten wie solche, die über
die aus allgemeinen Betrachtungen sich ergebenden Erfordernisse
hinaus das Vorhandensein noch weiterer Voraussetzungen für die
Anerkennung des Gewohnheitsrechts fordern. Wir brauchen daher
auf diese Möglichkeit nicht näher einzugehen und zwar um so
weniger, als eine in dieses Gebiet einschlagende Norm nach den-
selben Grundsätzen, zu beurtheilen wäre, wie ein gesetzliches Ver-
bot des Gewohnheitsrechts.
Bei diesem letzteren muss man zwei verschiedene Dinge
auseinanderhalten, nämlich die logische Unzulässigkeit des Ver-
botes und seine thatsächliche Unwirksamkeit. Liegt überhaupt
kein verbindlicher Rechtssatz vor, wenn der Gesetzgeber die
Bildung von Gewohnheitsrecht allgemein oder im Gegensatz zu
geltenden Gesetzen untersagt, so hat der Richter diesen Aus-
spruch gar nicht zu beachten. Hierfür könnte man sich vielleicht
gerade auf die Ausführungen des zweiten Abschnittes berufen
wollen, indem man aus ihnen den Schluss zieht, da das Gewohn-
2° Vgl. fr. 1 pr. Dig. de usuris 22, 1 und fr. 34 D. de regulis iuris
50, 17.