— 220 —
ihrem Gebiete durch Uebung neues Recht sich zu bilden ®®.
Dies übersehen zu haben, ist wohl der erheblichste Mangel des
sonst so verdienstvollen Werkes von E. MEIER, Die Rechts-
bildung in Staat und Kirche.
Auch die Familie ist hiernach ein zur Rechtserzeugung ge-
eigneter Kreis. Dies wird durch die in Deutschland anerkannte
Autonomie des hohen Adels bestätigt, die auch in der Gestalt
eines Gewohnheitsrechts, hier Observanz genannt, wirksam werden
kann. Es ist aber nicht ein Zufall, dass diese Befugniss sich
nur auf Verfügungen über Güter und Familienverhältnisse er-
streckt. Denn nur insoweit bildet die Familie eine in sich ab-
geschlossene selbständige Einheit. Die betreffenden Bestim-
mungen sollen zunächst nur innerhalb der Familie gelten, wie
namentlich bei denjenigen über Ebenbürtigkeit, Successionsfähig-
keit, Notherbrecht deutlich erhellt. Zwar können sie auch für
andere Personen massgebend werden, aber dies ist eine nicht
gewollte Nebenwirkung, wie auch die Statuten einer Korporation
gegenüber Nichtmitgliedern Anwendung finden, z. B. bei Be-
urtheilung der Vertretungsbefugniss des Vorstandes, obwohl sie
an sich nur die inneren Verhältnisse des Vereins ordnen wollen.
Dies bezieht sich bei den Familien selbst auf solche Vorschriften,
die nach ihrem Inhalte stets die Interessen fremder Personen
berühren, z. B. über den Zeitpunkt der Mündigkeit ihrer Mit-
glieder; auch für sie ist ausschliesslich die Rücksicht auf das
Wohl der Familie massgebend und die Wirkung für Andere nur
unbeabsichtigte Folge. Für das Sachen- und Obligationenrecht
kommen dagegen die Familienangehörigen nicht als solche in
Betracht, und die Rechtssätze dieser Gebiete sollen sich nach
3 7. B. besitzen die mecklenburgischen Landstädte seit dem Beginne
des 16. Jahrhunderts nicht mehr das Recht zum Erlass von Statuten auf
dem Gebiete des Privatrechts (Böstav, Mecklenb. Landrecht IS. 359), aber
desshalb hat noch kein Mensch bezweifelt, dass sie örtliches Gewohnheits-
recht hervorzubringen in der Lage seien.