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der Absicht ihres Urhebers auf alle Betheiligten gleichmässig er-
strecken. Für sie bildet die Familie keinen abgeschlossenen
Kreis und hat daher auch nicht die Fähigkeit zur Rechtserzeugung.
Soweit hiernach ein Gewohnheitsrecht innerhalb der Familie be-
grifflich möglich ist, ist es doch nach unserer positiven Rechts-
ordnung für alle nicht zum hohen Adel gehörenden Familien
ausgeschlossen®®, Das ist nirgends ausdrücklich ausgesprochen,
darf aber mit Sicherheit daraus gefolgert werden, dass die Auto-
nomie unter den heutigen Verhältnissen ein Privilegium bildet.
Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich diese Einschränkung
(wie in dem in Anm. 38 angeführten Beispiele) nur auf den Erlass
von Hausgesetzen beziehe. Würde der Staat ganz allgemein
die Entstehung von Gewohnheitsrecht für diese kleinsten Kreise
freigeben, so würde auf dem Gebiete des Familien- und Erbrechts
eine für den allgemeinen Verkehr ganz unerträgliche Zersplitterung
eintreten. Das Gemeinwesen kann jene daher nicht dulden und
verbietet sie stillschweigend. Soweit die besonderen Verhältnisse
der Einzelnen Berücksichtigung verdienen, ist durch die Gestat-
tung von Eheverträgen und Testamenten ausreichend Fürsorge
getroffen.
Von diesem Standpunkte aus wird man zu einer Untersuchung
darüber gedrängt, welches der kleinste Kreis ist, in dem Ge-
wohnheitsrecht entstehen kann. Die Gesetzgebung beschränkt
sich bekanntlich nicht darauf, Grundsätze aufzustellen, die alle
Verhältnisse einer bestimmten Gattung ordnen sollen, sondern
gibt in den Privilegien Vorschriften, die nur für wenige einzelne
Menschen gelten sollen. Etwas Aehnliches ist dem Gewohnheits-
rechte nur in sehr beschränktem Masse möglich. Denn es er-
fordert begrifflich eine Mehrheit von Uebungshandlungen; haben
3% Derselben Ansicht ist das Oberappellationsgericht Celle (1858) in
SEUFFERT’s Archiv Bd. XIV No. 3 (es handelte sich um die Frage, ob
die gemeinrechtliche Lehnsfolgeordnung iu einer vasallitischen Familie
durch Herkommen geändert werden könne).