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Verpflichtung aller zu einem weiteren Kreise gehörenden Ritter-
güter, sämmtliche Lasten der entsprechenden Kirchengemeinden
zu tragen, könne durch Gewohnheitsrecht entstehen. Dagegen
hat das Reichsgericht in drei anderen Sachen eine die Kirchen-
baulast des Patrons gegenüber der Kirchengemeinde betreffende
Observanz als Gewohnheitsrecht aufgefasst. Ebenso ist in einem
weiteren Urtheile zwar das Bestehen eines Herkommens, nach
dem sämmtliche Wirthe und Hausväter der zu einer evangelischen
Parochie gehörigen Ortschaften ohne Unterschied der Konfession
zu Kirchen- und Pfarrabgaben an die evangelische Kirche der
Parochie verpflichtet seien, mit Rücksicht auf das preussische
Gesetz vom 14. Mai 1873 geleugnet, aber die begriffliche Mög-
lichkeit der Entstehung eines solchen Herkommens nicht be-
stritten *!.
Dass das deutsche Recht in viel grösserem Masse als das
römische die Neigung hat, „Zustände, welche sich bis in un-
bestimmte Zeit verlieren und ohne Widerspruch thatsächlich be-
standen haben, als durch die Uebung geheiligt zu betrachten und
ihnen für die Zukunft Anerkennung und Achtung zu gewähren“ *?,
ist eine bekannte Thatsache. Eine andere Frage aber ist es, ob
sie soweit geht, alle Rechtszustände von solcher Beschaffenheit
zu schützen, oder ob sie nur zu einer Erweiterung des Rechts-
institutes der Verjährung geführt hat. Ihre Beantwortung ist um
so schwieriger, als man für derartige Fälle gerne die unbestimmten
Ausdrücke Herkommen und Öbservanz verwendet, mit denen
sowohl Gewohnheitsrecht wie unvordenkliche Verjährung als auch
eine stillschweigende Vereinbarung‘? bezeichnet wird. Hat die
#1 Eintscheidungen Bd. XII S. 292, Bd. XX VI S. 320, Bd. XXXI S. 270.
Bd. XXVI S. 288. Vgl. auch Bd. XXXIII S. 240 sowie weiter den bei:
Dernsure, Pandekten I $ 84 Anm. 6 mitgetheilten Fall, wo gleichfalls ein
Gewohnheitsrecht angenommen wird.
42 StosBE, Deutsches Privatrecht I $ 69 unter II.
4 Tjeber die letzte Möglichkeit vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts
in Civilsachen Bd. XI 8. 212.