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Entscheidung im ersteren Sinne zu erfolgen, so muss stets eine
der drei angegebenen Möglichkeiten angenommen werden, also
das Bestehen eines Gewohnheitsrechts, soferne man nach der
Sachlage weder mit der unvordenklichen Verjährung noch mit
der Unterstellung eines stillschweigenden Vertrages auskommt.
Dann werden wir aber zu Folgerungen in Betreff des Wesens
des Gewohnheitsrechts gezwungen, mit denen die meisten bis-
herigen Lehren über dieses unverträglich sind. Das erhellt
namentlich aus den angeführten Entscheidungen des Reichs-
gerichts, die sich auf die Kirchenbaulast des Patrons beziehen.
Denn in ihnen wird, und meines Erachtens mit Recht, das
Bestehen eines Grewohnheitsrechts wegen Irrthums über das
geltende Gesetz geleugnet, während auch keine Berufung auf
Vertrag oder auf Verjährung möglich war. Freilich müssten
wir dieses Ergebniss hinnehmen und eine mit ihm überein-
stimmende Erklärung der verbindlichen Uebungen zu finden
suchen, wenn feststände, dass die obige Antwort auf unsere
Frage zutreffend ist. Es lässt sich aber nicht nachweisen,
dass das deutsche Recht wirklich jeden thatsächlich bestehen-
den Zustand von langer Dauer aufrecht zu erhalten befiehlt,
und sollte in ihm jemals eine derartige Auffassung geherrscht
haben, so würde sie in den letzten Jahrhunderten durch
eine andere Anschauung verdrängt sein. Jedenfalls wäre sie
so ungewöhnlich und gebe zu so vielen Bedenken Anlass,
dass ein überzeugender Beweis ihres Bestehens erwartet werden
darf.
Demnach ist davon auszugehen, dass der Richter zwar die
Sachlage unter allen drei angegebenen Gesichtspunkten zu prüfen
hat, dass er aber auch zu einer völligen Verwerfung des behaup-
teten Rechtsanspruches gelangen darf. Alle drei haben nun das
mit einander gemeinsam, dass sie eine Mehrheit von Uebungs-
handlungen voraussetzen, die sich über einen langen Zeitraum
erstrecken, und dass diese Handlungen in jedem Falle als Rechts-
Archiv für Öffentliches Recht. XIII. 2. 15