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Aussicht auf weiteres Andauern der Gewohnheit fehle. Das ist
ganz richtig, trifft aber ebenso auch in allen übrigen Fällen zu,
wo sich die Annahme, ein Rechtssatz entspreche der geltenden
Rechtsordnung, als irrthümlich herausstellt, falls dieser Irrthum
die entscheidende Motivation für die bisherige Uebung war. Ob
trotz dieser Erkenntniss die Gewohnheit fortdauern wird, ist
zweifelhaft, und auch für die Vergangenheit erscheint sie der
nachträglichen Betrachtung als ein Werk des Zufalls. Auch der
Einwand, dass dieser Mangel durch die Erwägung ausgeglichen
werde, der bisher geübte Satz sei durch seine bisherige Herr-
schaft einmal zur Geltung gelangt und müsse desshalb auch ferner
beobachtet werden, dürfte nicht zutreffend sein. Der Unterschied
zwischen einem bloss thatsächlichen Zustande und rechtlicher
Geltung springt zu sehr in die Augen, um unbeachtet bleiben zu
können. Tritt aber zu Tage, dass die bisherige Gewohnheit aus-
schliesslich durch einen Irrthum veranlasst war, so wird sie von
den Menschen als blosse Thatsache angesehen, solange nicht
weitere Gesichtspunkte, wie namentlich die ausserordentlich lange
Dauer ihres Bestehens, eine andere Auffassung rechtfertigen.
Auch für eine verschiedene Behandlung des Irrthums, je nach-
dem es sich um einen Gebrauch der Gerichte oder um eine
Uebung von Privaten handelt, liegt kein genügender Grund vor.
Im Ergebnisse hat also meines Erachtens die bisherige Theorie
Recht, wenn sie annimmt, dass durch einen Irrthum die Bildung
eines Gewohnheitsrechts verhindert werde. Nur ist der hierfür
angeführte Grund, dass es an der erforderlichen Rechtsüber-
zeugung fehle, unzutreffend; die Ursache liegt vielmehr darin,
dass die Aussicht auf weitere dauernde Herrschaft des Rechts-
satzes fehlt. Und dies lässt sich nur unter den angegebenen
Beschränkungen behaupten.
Endlich ist noch das Erforderniss der Rationabilität zu er-
wähnen. Ihm müsste genügt werden, auch wenn es sich aus
allgemeinen Erwägungen nicht rechtfertigte, weil das positive