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auch noch andere Kräfte thätig werden; man denkt also unter
Rechtsordnung einen Inbegriff von Befehlen, die auf diesen Zweck
abzielen. BüLow dagegen versteht darunter die auf Erreichung
dieses Zieles gerichtete Thätigkeit. Aus seiner Auffassung müsste
gefolgert werden, dass jede von der Staatsgewalt ausgehende
Ordnung der Lebensverhältnisse eine Rechtsordnung sei, während
man in ihr zunächst nur eine Verwendung obrigkeitlicher Macht
bei einer einzelnen Gelegenheit zu sehen hat. Umgekehrt wäre
hiernach wohl folgerichtig eine von den Betheiligten selbst aus-
gehende Regelung ihrer Beziehungen, auch wenn sie dabei das
Gesetz beobachten, keine rechtliche Ordnung®®. Liegt aber,
wenn über zwei durchaus gleichartige Fälle der eine Richter so,
der andere so entscheidet, beide Male eine rechtliche Ordnung
vor? Das Gesetz würde auf diese Weise zu einer blossen An-
weisung an den Richter, da die Uebereinstimmung der durch
ihn erfolgenden Rechtsbestimmung mit jenem zwar gewünscht
würde, aber unwesentlich wäre, die thatsächlich vorgenommene
Gestaltung nicht erst durch sie zu einer rechtlichen würde. Aller-
dings ist ja jeder nicht mehr anfechtbare Richterspruch mass-
gebend ohne Rücksicht auf seine Vereinbarkeit mit dem Gesetz,
und wir sprechen davon, dass das Urtheil unter den Parteien
Recht mache. Aber dies dürfte trotz der Einwendungen BüLow’s
als eine auf Zweckmässigkeitserwägungen beruhende Vorschrift
anzusehen sein. Auch scheint mir wenig damit gewonnen, wenn
wir das Urtheil des Richters als eine Rechtssatzung ansehen.
68 BüLow stellt allerdings bei der Rechtsordnung die Parteien dem
Richter gleich, will also anscheinend jede Gestaltung der Lebensverhältnisse,
bei der der Thätigwerdende das Gesetz anzuwenden gewillt ist, als Rechts-
ordnung gelten lassen. Dann schaffen also auch die Privaten durch ihre
Thätigkeit Recht, wenn auch nur für sich, während in Bezug auf Dritte der
Gesetzesbefehl zur Anwendung kommt. Das wäre eine sehr bedenkliche
Folgerung. Und ebenso bedenklich ist es, Alles als Recht gelten zu lassen,
wobei der Handelnde in dem guten Glauben ist, sich in Uebereinstimmung:
mit der gesetzlichen Rechtsordnung zu befinden.