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Dass sie über den einzelnen Fall hinaus keine Geltung bean-
spruchen kann, gibt BÜLOW selbst zu. Gesetze, überhaupt das
was wir gewöhnlich Rechtsnormen nennen, sind aber abstrakte,
allgemein gültige Rechtsbestimmungen. Wir müssten also inner-
halb der Rechtssatzungen zwei verschiedene Gruppen unter:
scheiden, und was von der einen sich aussagen lässt, hat keines-
wegs auch stets Bedeutung für die zweite. In den uns hier
interessirenden Fragen überwiegt jedenfalls das Verschiedenartige
der beiden Gattungen so sehr, dass die neue Theorie für ihre
Beantwortung nicht weiter in Betracht gezogen zu werden braucht.
Durch die Macht der Gewohnheit können zwar auch die Richter-
sprüche einen hohen Grad von Beständigkeit erhalten, es kann
sogar unter Umständen der in ihnen ausgesprochene Grundsatz
allgemeine Verbindlichkeit erlangen. Aber dieser Erfolg ist nicht
darauf zurückzuführen, dass das Urtheil als ein Akt der Rechts-
ordnung angesehen werden müsste, sondern auf die Thatsache
der längeren Uebung.
Dennoch ist es zweckmässig, wenn wir die Anschauungen
BüLow’s noch kurze Zeit verfolgen. Wir erhalten dann, wie eben
bemerkt, zwei Arten von Rechtssätzen, solche die allgemeine
Gültigkeit haben (diese können wir endgültige Rechtssätze nennen),
und solche, die zwar zur Anwendung kommen, aber doch keine
verbindliche Kraft für weitere Fälle besitzen (vorläufige Rechts-
sätze). Wo die Rechtsordnung Lücken zeigt, da wird zu deren
Ausfüllung auf die Analogie verwiesen, und man fasst hierbei
gewöhnlich die Sache so auf, als ob durch sie unter der Voraus-
setzung, dass die entsprechende Verwendung des benutzten Gesetzes
logisch gerechtfertigt sei, auch ein wirklicher Rechtssatz hervor-
gebracht werde’”. Dagegen spricht aber zunächst, dass häufig
5’ Wmoscheip I S. 22 sieht die Analogie als eine Art der Auslegung
an; dann besitzt der so gefundene Rechtssatz selbstverständlich auch Geltung.
Dernsurg (Pandekten I $ 38) fasst sie als Selbstergänzung der Rechts-
ordnung auf und scheint gleichfalls nicht an dem positiven Charakter ihrer
Archiv für öffentliches Recht. XIU. 2. 16