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die Geltung gewisser Rechtssätze abgelehnt wird. Es ist ja doch
eine unzweifelhafte Thatsache, dass die Rezeption des römischen
Rechts nicht in allen Theilen Deutschlands in jeder Beziehung
durchgeführt ist. Konnte seine Geltung aber dadurch verhindert
werden, dass man an den überlieferten deutschen Rechtssätzen
festhielt, so wurde derselbe Erfolg auch dann herbeigeführt, wenn
gleichzeitig mit der Entstehung eines gemeinen Rechtssatzes im
übrigen Deutschland ein entgegengesetzter Gerichtsgebrauch in
einem einzelnen (Gebiete sich ausbildete. Dasselbe gilt auch noch,
wenn er in's Leben zu treten begann, bevor die Herrschaft des
gemeinen Satzes sicher befestigt war. Will man den partikulären
Gerichtsgebrauch als gültiges Gewohnheitsrecht nicht anerkennen,
so müsste in derartigen Fällen folgerichtig auf das früher geltende
Recht zurückgegangen oder eine Lücke in der Rechtsordnung
anerkannt werden, die dem Richter gestattete, nach seiner Ueber-
zeugung zu urtheilen.
Die schon im vorigen Abschnitte erörterte Frage nach dem
Einflusse des Irrthums auf die Bildung eines Gewohnheitsrechts
ist grundsätzlich nach den dort hervorgehobenen Gesichtspunkten
auch für den Gerichtsgebrauch zu beantworten. Nur ist der
Richter stets befähigt, die beiden Vorstellungen, der Satz gehöre
der positiven Rechtsordnung an, und: er entspreche der Idee der
Gerechtigkeit, genügend auseinanderzuhalten. Die ganze Frage
spielt aber beim Gerichtsgebrauche nicht dieselbe Rolle wie beim
eigentlichen Gewohnheitsrechte.e Denn wenn jede längere gleich-
förmige Rechtsprechung an sich keine verbindliche Kraft besitzt,
sondern aufhören muss, sobald die bisher befolgte Ansicht als
unrichtig erkannt wird, so trifft dies bei einem Gerichtsgebrauche,
der auf einem Irrthum über die Geltung eines Rechtssatzes be-
ruht, selbstverständlich gleichfalls zu. Meinten die Gerichte also
fälschlich, dass ein von ihnen geübter Grundsatz in der geltenden
Rechtsordnung enthalten sei, während der wirklich bestehende
Rechtssatz einen anderen Inhalt hat, so hat nach Aufdeckung