— 269 —
des Volkes und darum vom Nationalrat, in dem diese Souveränetät
ihren direkten Ausdruck findet, überschattet wird.
Zwei Punkte bilden den ganz besonderen Gegenstand des
Interesses unseres Verf.: das Referendum und die Gestaltung
und Entwickelung des bundesstaatlichen Gedankens in der Schweiz.
Das Referendum beherrscht jetzt, sei es in obligatorischer,
sei es in fakultativrer Form die schweizerische Bundes- wie Kan-
tonalgesetzgebung; nur „the strongly Oatholic and reactionary“
Freiburg hat kein Referendum (II S. 251). Die Ergebnisse der
Volksabstimmungen über Gesetze sind sehr merkwürdig: fast
regellos wird ein Gesetz gebilligt, das andere niedergestimmt; in
einem Jahre niedergestimmt wird ein Gesetz einige Jahre später
angenommen. Politiker und Gelehrte zerbrechen sich die Köpfe,
um einen leitenden Grundsatz für das Verhalten des Souveräns
zu finden (II S. 255ff.).. Vergeblich. Nur Eines steht fest: es
werden weit mehr Gesetze verworfen als angenommen. Das Re-
ferendum wirkt mässigend, ja hemmend für die Gesetzgebung;
das Volk, der Souverän, ist weit konservativer als seine Ver-
tretungen (II S. 265). Als das Ergebnis strenger verstandes-
mässiger Erwägung erscheint dies Verhalten des Volkes natürlich
nicht; mindestens die Hälfte der Abstimmenden ist ja gar nicht
fähig, in eine solche Erwägung einzutreten; aber der Bauer, der
sich gestern auf dem Markt über die niedrigen Viehpreise ge-
ärgert hat, stimmt heute über das vorgelegte Gesetz, das er gar
nicht gelesen hat, mit Nein; und im nächsten Augenblick wählt
er wieder denselben Vertreter, dessen Gesetz er eben verworfen
hat (II S. 323)!
Das Referendum ist eine höchst merkwürdige, viel erörterte
und dieser Erörterung unseres Erachtens auch durchaus werte
Institution. Die Logik der Volkssouveränetät zwingt zum Refe-
rendum und zwar zum obligatorischen. Dass damit die Arbeit
der Wissenden an die Willkür der Unwissenden erbarmungslos
ausgeliefert wird, ist unbestreitbar (II S. 275). Das ist aber