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In der That darf, nachdem jetzt ein volles Dutzend von
Jahren verflossen ist, seit neben einander die Kranken- und die
Unfallversicherung im Deutschen Reiche unter Anwendung des
Zwanges wirksam sind, nachdem ferner auch das „Klebegesetz“
einen siebenjährigen Krieg mit seinen zahlreichen Widersachern
überdauert hat?, bei einem Rückblick auf die Erfahrungen, die
man mit den drei Einrichtungen gemacht hat, der an die Adresse
der Reichsregierung gerichtete Vorwurf eines schädlichen Ein-
greifens in private, der staatlichen Regelung entzogene Wirtschafts-
und Rechtsgebiete als unbegründet bezeichnet und für das Er-
zeugnis einer rückständigen sozialpolitischen Auffassung erklärt
werden, die mit der Entwicklung der heutigen Arbeiterverhält-
nisse nicht in Uebereinstimmung zu bringen ist.
Bei Erlass des ersten der deutschen Zwangsfürsorge-Gesetze,
des Krankenversicherungsgesetzes, hat es allerdings sehr ein-
gehender Erörterungen bedurft, um der Schwierigkeiten Herr zu
werden, welche sich aus der damals noch besonders starken Ver-
teidigung des Freiwilligkeitssystems ergaben. Die Gesetzesmotive?
führten aus, die anzustrebende allgemeine Durchführung der Ar-
beiter-Krankenversicherung könne auf dem bisher von der Gesetz-
gebung eingeschlagenen Wege nicht erreicht werden; weder die
in 88 141ff. der R.-Gew.-O. (Fassung v. 8. April 1876) fakultativ
zugelassene statutarische Anordnung eines Krankenversicherungs-
zwangs für gewerbliche Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter,
von der verhältnismässig nur sehr wenige Ortsbehörden* und gar
keine „weiteren Kommunalverbände* Gebrauch gemacht hätten,
noch die aus dem Reichsgesetze vom 7. April 1876 über die ein-
geschriebenen Hülfskassen sich ergebende Möglichkeit, dass die
? Das Krankenversicherungsgesetz ist gemäss seines $ 88 seit dem
1. Dez. 1884 in Kraft; das Unfallversicherungsgesetz ($ 111 desselben) seit
dem 1. Okt, 1885 (Kaiserl. Verordnung vom 235. Sept. 1885, R.-G.-Bl. S. 271);
das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz seit 1. Jan. 1891.
3 No. 14 der Reichstagsdrucksachen, 5. Legislaturperiode, 2. Session 1882.
* Bis zum Schlusse des Jahres 1883 nicht mehr als 360. .